Einen solchen Schaltkasten müssen Anlagenläufer in der Industrie auf ihren Kontrollgängen checken. Doch eigentlich soll die Digital Plant Inspection den konventionellen Routengang ersetzen.

Einen solchen Schaltkasten müssen Anlagenläufer in der Industrie auf ihren Kontrollgängen checken. Doch eigentlich soll die Digital Plant Inspection den konventionellen Routengang ersetzen. (Bild: AI by NightCafe)

Es klingt wie ein Gruß aus längst vergangenen Zeiten: Anlagenläufer, die in Fabriken mit Klemmbrett, Checkliste und Stift losziehen, um den Maschinenpark mittels Routengängen auf Auffälligkeiten zu überprüfen. Im Zuge dieser Kontrollgänge wird viel Papier beschrieben. Fotos werden gemacht. Mit Vorgesetzten telefoniert. Was nicht passiert: Anlagendaten systematisch und automatisiert digital zu erfassen.

Dabei erfassen viele Sensoren bereits Abweichungen, die nur noch an eine zentrale Plattform übertragen und ausgewertet werden müssten. Doch das geschieht noch viel zu selten – und damit geht ein wertvoller Datenschatz in der Automobilproduktion verloren. Mit einer digitalisierten Anlageninspektion würde das nicht passieren.

Smart: Echtzeitdaten mit klassischen Infos verknüpfen

Vor allem aber eröffnet das Zusammenspiel von IT und OT neue Möglichkeiten, unter anderem durch die Verknüpfung von Echtzeit-Maschinendaten mit digital verfügbaren Informationen über die Maschine aus klassischen IT-Systemen wie CAD, PLM oder der technischen Dokumentation, erklärt Michele del Mondo, Market & Business Development Director Industry Advisor Mobility beim US-amerikanischen Technologieunternehmen PTC. „So entsteht die Basis für Industrie 4.0, die Lösungen wie Predictive Maintenance ermöglicht.“

Die Effekte liegen auf der Hand: „Zu den Vorteilen einer IoT-gestützten Lösung für die Maschineninspektion zählen unter anderem die Reduzierung von Wegezeiten, die Erhöhung der First Time Fix Rate und die optimierte Ersatzteilbeschaffung“, sagt der Experte, „generell geht es darum, die Anlagenverfügbarkeit auf ein Maximum zu steigern - und das bei gleichzeitiger Reduzierung der eingesetzten Ressourcen.“

Weg mit dem Klemmbrett, her mit dem Tablet

Klingt gut, aber wie setzt man eine digitale Anlagenbegehung um? Der erste Schritt ist einfach: Weg mit dem Klemmbrett, her mit dem Tablet. Die Routengänger sollen via Tablet oder Smartphone Daten erfassen, um die Basis für das digitale Anlagendatenmanagement zu schaffen. Aber auch die Rückmeldung von Informationen wie Auffälligkeiten in der Anlage auf mobile Endgeräte ist durch die Digitalisierung möglich.

Wie ein Kontrollgang gestaltet wird, an welchen Stationen und Messstellen wann welche Daten erfasst werden, muss Sache des Fachpersonals sein, denn sie sind die Experten auf ihrem Gebiet. Über intuitiv zu bedienende IoT-Plattformen wie ThingWorx können dies auch weniger IT-affine Techniker bewältigen. Zumal es bereits hier darum geht, Daten und Informationen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenzuführen.

Komplexe Schnittstellen einfach zusammenführen

„So vielfältig wie die Produktionslinien und Maschinen im Automobilbau sind, so heterogen sind auch die Lösungen, die für die Maschineninspektion eingesetzt werden“, sagt Michele del Mondo. Das Spektrum reiche von selbst entwickelten Anwendungen über Low-Code-IoT-Plattformen bis hin zu den meist proprietären Anwendungen der Maschinenhersteller selbst. Del Mondo: „Erfolgreich werden nur jene Lösungen sein, die auf einer skalierbaren Plattform basieren und Funktionen beinhalten, die sowohl über eine umfassende Maschinenkonnektivität verfügen als auch Informationen aus verschiedenen IT-Systemen aggregieren und auf unterschiedlichen Geräten wie Tablets oder HoloLens in Verbindung mit AR ausgeben können.“

Mit anderen Worten: Kern muss eine Plattform sein, die es ermöglicht, unterschiedliche und komplexe Schnittstellen einfach zusammenzuführen. Zumal nicht einzelne Anlagen oder der Maschinenpark eines Unternehmens digital inspiziert werden sollen, sondern konzernweite Produktionsstätten - um möglichst schnell oder vorausschauend auf drohende Ausfälle reagieren zu können. Und: Eventuelle Reparaturaufträge oder andere Maßnahmen sollen zentral aus dem System heraus ausgelöst werden können.

Digitale Informationen vom Shopfloor

OEMs wie Audi nutzen zunehmend den digitalen Datenschatzauf dem Shopfloor, um auf digitalem Weg deutlich mehr Informationen über Betriebszustände zu gewinnen, damit Prozesse ausfallsicherer gefahren werden können und vorausschauende Wartung möglich wird. So erprobt das Projekt Predictive Maintenance die intelligente und digitale Instandhaltung im Karosseriebau am Standort Neckarsulm.

Instandhalter sammeln und interpretieren dafür Daten, mit denen sie den Verschleiß von Produktionsanlagen vorhersagen können, berichtet Mathias Mayer, der im Production Lab an der Digitalisierung der Automatisierungstechnik im Karosseriebau arbeitet. „Unser Ziel ist es, nicht erst zu reagieren, wenn etwas passiert ist, sondern mögliche Probleme zu erkennen, bevor sie auftreten.“

Für den Anwendungsfall der Fügeanlage bedeutet das: Big Data sammeln und auswerten. Millionen von Daten fallen an, wenn die Stanznietanlage zwischen 600.000 und 1,2 Millionen Niete mit Druckluft durch ein Kunststoffrohr schießt, um Karosserieteile miteinander zu verbinden. Jetzt gilt es, die stark beanspruchten Schläuche auszutauschen, bevor sie verschlissen sind - und das am besten in der produktionsfreien Zeit. Mit einer herkömmlichen Linienüberwachung ist das nicht möglich.

Standards als Schlüssel zum Erfolg

Ähnliches erprobt Mayer mit Kollegen an Schweißrobotern. Alles Lösungen, die, wenn sie stabil laufen, konzernweit ausgerollt werden sollen. Wichtig: „Die Prozesse müssen standardisiert werden, um mehrere Anlagen und Maschinen mit Datenbanken zu verknüpfen“, erklärt Mayer. „In naher Zukunft sollen auch andere Prozessdaten ausgelesen und interpretiert werden, um letztlich den Zustand des Maschinenparks transparent zu machen.“ Sobald die Anlagendaten konsolidiert
und in hoher Qualität vorliegen, ist der Weg frei für die Skalierung.

Sicher, ganz ohne Papier wird es auch bei Audi und anderen OEMs vorerst nicht gehen. Aber: Digitalisierte Prozesse werden künftig manuelle, dokumentenbasierte Prozesse ersetzen. „Wenn man Industrie 4.0 zu Ende denkt, gibt es technisch keinen Grund mehr für papierbasierte Prozesse“, ist sich Michele del Mondo sicher. „Bis sich die Technik mit ihren Möglichkeiten überall durchgesetzt hat, wird es aber sicher noch einige Jahre dauern.“

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