Künstliche Intelligenz oder englisch Artificial Intelligence (AI): Kaum eine Maschine und kaum ein System kommen in Zukunft ohne diese Technologie aus, heißt es. Aber stimmt das? Kann KI in der Instandhaltung wirklich ein probates Hilfsmittel sein oder ist es nur ein Hype, der sich lediglich in Nischen etablieren wird?
KI-Fans führen gerne die Beispiele Kaiser Wilhelm II. ("Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.") und Bill Gates ("Das Internet ist nur ein Hype.") an. Aus Ihrer Sicht wird sich die Technologie durchsetzen - auch in Produktion und Instandhaltung. Wer das nicht glaubt und sich nicht verändern will, über den werde die Geschichte hinweg gehen.
Skeptiker dagegen sehen schlicht kaum eine Aufgabe für KI-gestützte Lösungen im Sinne von Maintenance 4.0, die es denkbar macht, die Möglichkeiten wirtschaftlich einzusetzen.
Was ist eigentlich Künstliche Intelligenz
Eine exakte Definition, was unter Künstlicher Intelligenz zu verstehen ist, gibt es nicht. Im allgemeinen wird der Begriff genutzt, um Anwendungen zu erklären, bei denen Software oder Maschinen Prozesse abarbeiten, die menschlichen Intelligenzleistungen ähneln. Dazu gehören maschinelles Lernen (Machine Learning), Verarbeitung menschlicher Sprache (NLP – Natural Language Processing) und Deep Learning. Prinzipiell soll KI es Maschinen ermöglichen, ähnliche Entscheidungen zu treffen wie ein Mensch, der aus Erfahrungen gelernt hat, welche Probleme welche Entscheidungen erfordern um bestimmte Konsequenzen zu erzielen.
Kein Hype sondern kontinuierliche Entwicklung
Spricht man mit Markus Ahorner, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Ahorner&Innovators, sollte man den Begriff 'Hype' besser aus dem Vokabular streichen: "Das Wort Hype passt aus meiner Sicht nicht zum Stand der KI-Entwicklung und wird primär von Laien benutzt, die Methode und Potenzial noch nicht verstanden haben", sagt er.
Interviews zum Thema KI in der Instandhaltung finden Sie in unserer Experten-Rubrik:
Das Gespräch mit Markus Ahorner lesen Sie hier.
Das Interview mit Kyriakos Kosmidis finden Sie hier.
Die Aussagen von Wolfgang Kienreich stehen hier.
Die Meinung von Jörg Bienert finden Sie hier.
Und Ahorner räumt auch gleich mit einer aus seiner Warte falschen Sichtweise auf: "'Künstliche Intelligenz' bezieht sich nicht auf die Nachbildung menschlicher Intelligenz oder gar von menschlichem Bewusstsein. Schon gar nicht wenn es um den industriellen Einsatz geht. Bei KI geht es darum, Maschinen zu entwickeln, die sich so verhalten, dass sie für einen menschlichen Betrachter die Anmutung haben, als ob sie Intelligenz besäßen."
Für Ahorner steht fest, dass es vor allem die Fortschritte im Bereich Maschinelles Lernen waren, die der Nutzung maschineller Intelligenz in den vergangenen zehn Jahren einen immensen Sprung nach vorne ermöglicht haben: "Was die Sache früher schwierig gemacht hat, war die Verarbeitung sehr großer Datenmengen. Aber seit der Einführung der Quadcore-Computer vor zwölf Jahren lassen sich die dafür erforderlichen Datenmodelle sogar auf einem Desktop-Rechner implementieren."
Einen 'Hype' mag der Technologieentwickler nicht erkennen: "KI ist eine kontinuierliche Entwicklung, die nun schrittweise die Industrie durchdrängt, wie jede andere Erfindung auch. Da aber das Potenzial, menschliche Wissensroutinen zu unterstützen oder sogar abzulösen, so unglaublich hoch ist, halte ich die aktuelle Diskussion um die Wichtigkeit von KI für die europäische Wirtschaft für absolut gerechtfertigt."
Viel Wind um KI
Ganz so euphorisch ist Kyriakos Kosmidis beim Thema maschinelle Intelligenz nicht: "Die notwendige Technologie ist bestimmt schon fortgeschritten, aber Ihre Anwendung in der Praxis ist längst noch nicht an einem Status angelangt der uns in zehn bis 15 Jahren als selbstverständlich erscheinen wird", sagt der Geschäftsführer von WKA Blade Service.
Das Unternehmen ist Teil der Robur-Gruppe - genau wie das Partnerunternehmen GIS. Gemeinsam wurde von den Spezialisten der Gruppe eine KI-Anwendung entwickelt, mit deren Hilfe Schäden an Rotorblättern von Windkraftanlagen automatisiert mittels einer von einer Drohne aufgenommenen Bildern erkannt werden können.
Diese Kombination aus visuellen Inspektionen, zum Beispiel von Blättern und den KI-unterstützten Schadenserkennungen und -klassifizierungen wird laut Kosmidis in der Windenergiebranche viel erprobt. "Aber auch hier gilt, dass das eigentliche Potential noch nicht gehoben worden ist, weil Software-Unternehmen nicht genügend mit Spezialisten zusammenarbeiten, um Lösungen zu erarbeiten, die weitreichender sind, als die von Stolz getriebene Aussage, dass die KI einen Schaden am Blatt entdeckt hat, der doch kein Schmutz ist."
Mensch-Maschine-Gleichgewicht verschiebt sich
Von Künstlicher Intelligenz (KI) die den Menschen ersetzt ist auch Wolfgang Kienreich, der Director Business & Market des Know-Center an der TU in Graz, weit entfernt: "KI-Technologie wird seit mehr als 50 Jahren stetig entwickelt", stellt er klar. Heute können wir sehr intelligente Assistenzsysteme bauen die Menschen in unterschiedlichsten Bereichen sehr gut unterstützen. "Was dieser Entwicklung in den letzten Jahren einen großen Schub voran gegeben hat, ist die Verfügbarkeit sehr großer Datenmengen.
Als Beispiele führt er Bilddaten im Internet oder Sensordaten in der Industrie auf. Dazu die Verfügbarkeit sehr hoher Rechenleistung, beispielsweise in Form sogenannter GPGPU-Cluster, also die Verwendung eines Grafikprozessors für Berechnungen über seinen ursprünglichen Aufgabenbereich hinaus.
So können laut Kienreich heute zahlreiche Verfahren, insbesondere aus dem Bereich der neuronalen Netze, zur Lösung von Problemen wie beispielsweise Predictive Maintenance angewandt werden, die in der Vergangenheit mangels Datenvolumen und Rechenleistung nicht praktikabel waren.
Das ändere aber nichts daran, dass wir uns noch immer im Zeitalter der assistiven KI befinden: "Moderne datengetriebene KI-Systeme können Menschen bei intellektuellen Routineaufgaben unterstützen, aber in fast allen Anwendungen wird lediglich das Gleichgewicht in der Arbeitsverteilung zwischen Mensch und Maschine verschoben, und nicht der Mensch durch die Maschine ersetzt."
Ebenso gibt es laut Kienreich zahlreiche explorative und analytische Werkzeuge, die in der Instandhaltung sehr gut angewendet werden können. "Jedenfalls für alle Steuer- und Regelanwendungen, in denen historische Daten zu Verlauf und charakteristischem Verhalten vorliegen, also etwa Regelung von Heizung und Lüftung oder Licht."
Dann für alle Wartungsaufgaben, zur Vorhersage von Reinigung, Ersatz von Leuchtmitteln, Filtern, Verschleißteilen und so weiter. "Darüber hinaus aber auch für die Planung neuer Anlagen, wo mittels digitaler Zwillinge basierend auf Daten aus bestehenden Anlagen die Planung wesentlich näher an der Realität erfolgen kann."
In der Windenergiebranche sind intelligente Lösungen laut Experte Kosmidis als Werkzeuge vor allem dort im Einsatz, wo eine Optimierung der Prognosen zum Zustand der Anlage den Ertragsausfall reduzieren, vorausschauende Instandhaltung und Reparaturen planbar machen, Kostenblöcke vorhersagen und die Organisation der Supply Chain optimieren können. "Themen eben, die die Kostenreduzierung weiter voranbringen werden."
Predictive Maintenance ist möglich
Zweifel, dass maschinelle Intelligenz industriell heute ausgereift und operativ einsetzbar ist, hat Unternehmer Ahorner nicht. Er erkennt durchaus Vorteile in der optimalen Nutzung der digitalen Intelligenz als Werkzeug in der Smart Maintenance - aber nicht immer und überall: "Das hängt davon ab, welches Ziel man erreichen will. Wenn es lediglich darum geht, ein Ereignis vorherzusagen, einen Trend früh zu erkennen oder eine Störung zu prognostizieren, so ist das heute zweifelsfrei möglich."
Predictive Maintenance - der große Überblick
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Künstliche Intelligenz als Werkzeug der Instandhaltung 4.0
Auf die Frage, ob er schon für Instandhalter nutzbare KI-Werkzeuge sehe, hat Kienreich eine eindeutige Antwort: "Ja, absolut", sagt er. Eine Unmenge von datengetriebenen Modellbildungs-Verfahren beschäftige sich etwa damit, aus historischen Daten zu lernen, unter welchen Umständen gewisse Ereignisse zu erwarten sind, um derartige Ereignisse für die Zukunft aus Daten vorherzusagen. "Übertragen auf die Instandhaltung entspricht dieses Konzept natürlich der vorausschauenden Wartung, also Predictive Maintenance."
Auch im Know-Center ist man zuversichtlich, was vorausschauende Wartung angeht, die ohne KI-Lösungen nur äußerst schwierig umzusetzen wäre, und entwickelte die hauseigene Web-Applikation 'Timefuse', wie Wolfgang Kienreich erklärt.
"Die Software ist für die interaktive Visualisierung und Analyse von sehr großen Zeitreihendaten gedacht, um MitarbeiterInnen ohne Ausbildung in Datenwissenschaften, in ihrer Arbeit zu unterstützen", sagt Kienreich. Als Suchmaschine ermögliche das Tool die Suche nach ähnlichen Mustern in sehr großen Datenmengen.
"Durch die Interpretation, respektive Beschlagwortung von Daten und Signalverläufen, in Form von Annotationen, haben Mitarbeiter die Möglichkeit das vorhandene Expertenwissen mit Daten zu verknüpfen." Dies ermögliche das Auffinden von Wissen zu Datenanomalien und biete dadurch die Möglichkeit, Wartung, sowie Instandhaltung im Sinne eines Predictive Maintenance Ansatzes, in Bezug auf Stehzeiten in der Produktion, sinkende Produktqualität, oder Root-Cause Analysen zu minimieren, respektive zu optimieren.
Die Annotationen der Mitarbeiter trainieren laufend die Algorithmen, sodass anhand eines trainierten Modells eine automatische Erkennung von Anomalien durchgeführt, sowie eine Benachrichtigung inklusive situativer Handlungsempfehlungen, basierend auf historischen Daten, zur Verfügung gestellt werden können.
Wo hakt es in Sachen KI und Instandhaltung?
Es läuft also scheinbar und die Künstliche Intelligenz ist auf dem Weg zu einem unverzichtbaren Teil des IoT, der Automatisierung und der Maintenance beziehungsweise Industrie 4.0. Doch ganz so einfach ist die Umsetzung der Technologie im System Instandhaltung nicht, wie unsere Experten bestätigen. Noch gibt es einige Painpoints.
"Meine Beobachtung ist, dass es speziell in Deutschland sehr viele dynamische und junge Firmen gibt, die mittlerweile über erstklassige Datenwissenschaftler verfügen", sagt Markus Ahorner. "Was den Start-ups leider häufig fehlt, sind echte, lebendige und leider auch 'dreckige' industrielle Datenmengen."
"Häufig versuchen Anbieter fertiger Software-Lösungen, diese weit über das ursprüngliche Einsatzgebiet hinaus zu verkaufen und einzusetzen. Das funktioniert aber für Künstliche Intelligenz meist nicht." - Wolfgang Kienreich
Allerdings benötige man sehr viel Erfahrung aus realen Industriefällen, um mit diesen Daten sinnvoll umgehen zu können. Diese Erfahrung können Unternehmen laut Ahorner natürlich nur durch Übung erwerben. "Aber alles ist besser als nichts zu tun, oder als die falschen Forschungsinstitute zu fördern. In Deutschland beobachten wir derzeit einen Trend, dass speziell bei den Ingenieuren das Rad mehrmals erfunden wird, denn viele Entwicklungen sind bereits in der Mathematik und in der Informatik passiert, die jetzt an den Forschungsinstituten aus Unwissen noch einmal bearbeitet werden."
Windkraft-Experte Kosmidis ist ebenfalls skeptisch, was die aktuelle Situation angeht: "Leider sind die Ziele für den Einsatz einer KI und die Voraussetzungen in der Windbranche noch nicht weitreichend genug formuliert. Es existiert zur Zeit in der Branche noch nicht das Verständnis, Daten für die Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette mit den Teilnehmern in der Art und Weise zu teilen, dass dem schnelleren und weiterhin kostenoptimierten Ausbau dieses so wichtigen Segments nicht künstlich Fußfesseln an die Türme gelegt werden."
Fragt man die Experten am Know-Center, sind mit KI-Projekten große Chance aber auch Herausforderungen verbunden, die man mitbetrachten sollte: "Als eines der führenden europäischen Forschungsinstitute für datengetriebene künstliche Intelligenz gehört es zu unseren Aufgaben, als neutrale Instanz derartige Einschätzungen für unsere Unternehmenspartner vorzunehmen.", erklärt Wolfgang Kienreich.
"Wir kennen zahlreiche Angebote, die für die Adressaten nicht unbedingt vorteilhaft sind. Häufig versuchen Anbieter fertiger Software-Lösungen, diese weit über das ursprüngliche Einsatzgebiet hinaus zu verkaufen und einzusetzen. Das funktioniert aber für Künstliche Intelligenz meist nicht."
In den allermeisten Fällen sei ein gewisser 'Service-Anteil' oder 'Projekt-Charakter' unumgänglich. Alleine schon deshalb, weil im (Big) Data Dschungel keinerlei Ordnung oder Normierung herrscht und die Datenqualität in jedem Fall neu erhoben werden muss. Kienreich: "Wenn Ihnen also ein Anbieter erklärt, dass Sie nur Ihre Daten abliefern müssten und die Maschine den Rest alleine erledigt, ist durchaus Skepsis angebracht. Am Know-Center haben wir dafür mit unserem Data Value Check ein erfolgreiches Beratungstool entwickelt, das Firmen dabei unterstützt KI-Projekte richtig und effizient anzugehen."
Das sagt der Instandhaltungsleiter zu KI:
Lothar Schmiegel ist der Leiter Instandhaltung bei Gerolsteiner. Wir haben ihn gefragt, was er als Vertreter eines typischen deutschen Mittelständlers und Weltmarktführers von Künstlicher Intelligenz in der Instandhaltung hält:
INSTANDHALTUNG: Wie weit ist aus Ihrer Sicht der Stand der KI-Technik? Ist der aktuelle Hype gerechtfertigt?
Lothar Schmiegel: "Bei KI sind wir im klassischen Gartner Hype Cicle, meiner Ansicht nach, noch auf der Steigung der überzogenen Erwartungen. Tatsache ist, es gibt sicherlich Anwendungen in den KI hervorragend funktioniert. Man muß aber auch sehen, mit welchem Implementierungsaufwand hier agiert wird."
INSTANDHALTUNG: "Sind in Ihren Augen bereits für Instandhalter nutzbare KI-Werkzeuge verfügbar?"
Schmiegel: "Ich kenne zur Zeit keine frei verfügbaren KI-Anwendungen für die Instandhaltung. Alle mir bekannten Marktlösungen sind Einzelfalllösungen."
INSTANDHALTUNG: Woran scheitert die KI in der Instandhaltung?
Schmiegel: "Ich glaube, das KI einen nennenswerten Beitrag zur Instandhaltung leisten kann, wenn die Werkzeuge so gestrickt sind, das sie leicht zugänglich sind, gute Performance zeigen und zu Preisen die den Einsatz rechtfertigen. Prof. Gerrit Sames von der TH Mittelhessen hat dies in einer Studie gut beschrieben und moniert zu Recht die fehlenden Skaleneffekte für solche Lösungen."
INSTANDHALTUNG: Oftmals werden Unternehmen und Instituten im aktuellen KI-Hype Projekte von auch durchaus zweifelhaftem Nutzen angeboten. Wie identifizieren Sie den Nutzen eines solchen Angebots?
Schmiegel: "Ich beschäftige mich nur mit Angeboten, die Ansatzweise den Anspruch an Funktion und Preis erfüllen. Zur Zeit sehe ich solche Angebote, nach intensiven Gesprächen mit diversen Anbietern, nicht."
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