Industriekletterer arbeiten in jeder Hinsicht auf höchstem Niveau.

Industriekletterer arbeiten in jeder Hinsicht auf höchstem Niveau. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Industriekletterer sind Spezialisten für Seilzugangstechnik (SZT) oder auch Seilzugangs- und Positionierungstechnik (SZP). Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn ein Arbeitsplatz besonders hoch oder besonders tief liegt und der Bau eines Gerüstes oder ein Steiger nicht opportun sind. Auch bei Bilfinger arnholdt, einem großen deutschen Dienstleister für Industrie- und Spezialgerüstbau, sind die Kletterer tätig. Wir haben nachgefragt, welche Aufgaben Industriekletterer haben und wie man in diesem Beruf durchstarten kann.

Am seidenen Faden hängt das Leben von Michael Bartalov bei seinem Job nicht – aber zumindest am Polyamid-Seil mit Kernmantelkonstruktion. Er ist Industriekletterer bei Bilfinger arnholdt und klettert seit 1996. "Ich habe bei der Bundeswehr angefangen, mit Seilen zu arbeiten", erzählt er "Damals ging es um Interventionsaufgaben im urbanen Bereich und das Abseilen von Gebäuden. Anschließend habe ich Erlebnispädagogik studiert – dann war der Schritt von normalen pädagogischen Arbeiten hin zum Bau von Abenteuerparks und dann zur Industriekletterei gar nicht mehr so groß."

Sein Arbeitgeber bildet die SZT-Spezialisten, wie die Industriekletterer auch genannt werden, selbst aus. Neben der wohl selbstverständlichen Schwindelfreiheit ist der erlernte Beruf der Kletter-Aspiranten der Knackpunkt der Auswahl. "Der Kletterer ist eine Qualifikation", erklärt Denis Edelhof, Leiter des Technischen Büros von Bilfinger arnholdt. "Der eigentliche Beruf ist die Grundlage für das, was der Bewerber auch am Seil machen soll und kann. Die Grundvoraussetzung dafür ist eine gewisse körperliche Fitness und technisches Verständnis." Die Feinheiten des Kletterns werden dann in der Ausbildung zum Industriekletterer vermittelt.

Denis Edelhof, Leiter des Technischen Büros von Bilfinger arnholdt -
(Bild: Bilfinger arnholdt)

"Der eigentliche Beruf ist die Grundlage für das, was der Bewerber auch am Seil machen soll und kann." - Denis Edelhof, Leiter des Technischen Büros von Bilfinger arnholdt

Ausbildung vor der Ausbildung

Die Bedeutung der vorhergehenden Ausbildung bestätigt auch Christian Grauert, Projektleiter Alternative Höhenzugänge bei Bilfinger arnholdt: "Eine handwerkliche Ausbildung macht Sinn, weil wir Handwerk auch ausführen müssen", sagt er. "Es kann aber auch ein Ingenieur sein, der zum Industriekletterer ausgebildet wird, der zum Beispiel Wanddickenmessungen macht oder der in der Höhe mit dem Computer Messungen durchführt." Aber die Grundlage der Arbeit als Industriekletterer sei die Ausbildung: "Die meisten Kunden setzen Expertise voraus. Dann macht es Sinn, wenn wir ausgebildete Isolierer, Korrosionsschützer oder ZFP-Prüfer (zerstörungsfreie Prüfung) haben."

Christian Grauert, Projektleiter Alternative Höhenzugänge bei Bilfinger arnholdt.
Christian Grauert, Projektleiter Alternative Höhenzugänge bei Bilfinger arnholdt. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Man könne in der Industriekletterei sehr viele Bereiche abbilden, sagt Grauert. "Und ganz oft haben wir eben die Möglichkeit, zur Hilfe zu kommen." Möglicherweise auch mit einem Rettungskonzept. "Wir wollen jetzt eine ausgebildete Sanitäterin ins Team holen. So können wir in dem Bereich noch eine weitere Dienstleistung für den Kunden erbringen."

Das eigentliche Auswahlverfahren für die Qualifikation zum Industriekletterer ist relativ einfach, wie SZT-Profi Bartalov, der selbst eine handwerkliche Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur, Dachklempner sowie Bauklempner abgeschlossen hat, erklärt: "Jeder, der sich dazu berufen fühlt, eine Industriekletterer-Weiterbildung zu machen, kann sich bei uns melden", sagt er. "Dann fangen wir damit an, zu erklären, was im theoretischen Bereich verlangt wird. Denn nicht nur die klettertechnische Variante, also der praktische Teil, sondern auch eine große Menge an Theorie gehört dazu." Seine Erfahrung zeigt, dass dieser Theorieteil doch so manchen Bewerber abschreckt. "Dann starten wir mit den Basics wie der Anwendung von persönlicher Schutzausrüstung, wie zieht man den Gurt an, wie bewegt man sich im Seil, also Seilaufstieg und –abstieg. Und dann werden die Höhen immer mehr gesteigert."

Industriekletterer sind in der Lage und dazu ausgebildet, sich an jeder Art von Bauwerk dreidimensional zu bewegen - auch ohne fixe Anschlagpunkte.
Industriekletterer sind in der Lage und dazu ausgebildet, sich an jeder Art von Bauwerk dreidimensional zu bewegen - auch ohne fixe Anschlagpunkte. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Weit oben arbeiten ist nicht gleich Höhenarbeit

Wichtig zu wissen ist aber: Es gibt einen großen Unterschied zwischen Höhenarbeiter und Industriekletterer. "Zum einen gibt es den PSAgA-Bereich. Das ist Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz", erklärt Bartalov. "Das ist ein 2-Tageskurs, den man machen kann, und danach ist man befähigt mit vorkonfektionierten Absturzsicherungssystemen in der Höhe zu arbeiten. Man darf aber ausschließlich vorgefertigte Systeme benutzen."

Ein Profi in Sachen Seilzugangstechnik, also ein echter Industriekletterer, kann sich dreidimensional im Raum bewegen. "Egal, wie", sagt Bartalov, "wir können auch an Bauten arbeiten, die gar keine PSAgA und damit auch keine vorgegebenen Anschlagpunkte für das Seil vorgesehen haben." Als Seilzugangstechniker könne und dürfe man sich solche Anschlagpunkte selbst auswählen und bauen. Experte Bartalov erklärt: "Wenn wir an einem Dach etwas festzumachen haben, dann könnten wir rein theoretisch – aber auch praktisch -  das Auto auch auf der anderen Seite des Hauses parken, das Seil am Auto festmachen und es übers Haus bringen. Wenn wir darauf achten, dass wir Seilschutz sowie Kantenschutz einhalten und die auftretenden Kräfte runterrechnen können, dann können wir uns dementsprechend Anschlagpunkte bauen. Wir sind sehr kreativ und im Grunde genommen haben wir so ziemlich alle Möglichkeiten bis auf den Siemens Lufthaken, in wirklich jedem Bereich zu arbeiten."

Reichlich Spezialausrüstung am Mann

Die Ausrüstung von Industriekletterern gibt es im durchschnittlichen Kletterladen eher nicht zu kaufen.
Die Ausrüstung von Industriekletterern gibt es im durchschnittlichen Kletterladen eher nicht zu kaufen. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Um solche Aktionen sicher durchführen zu können, müssen sich Industriekletterer voll und ganz auf ihre Ausrüstung verlassen können. Einfach im Kletterladen von der Stange können sie dabei so gut wie nichts kaufen: "Unsere Gurte unterscheiden sich grundsätzlich zu den anderen Auffangsystemen, die im Prinzip nur gegen den Absturz sichern und mehr nicht. Unsere Gurte sind noch mit Positionierungssystemen ausgestattet – das bedeutet auch, dass sie weiteren Normen unterliegen", sagt Bartalov. "Der normale Auffanggurt hat nur eine Norm, das ist die EN 361. Unser Gurt hat Minimum drei. Das wären die 361, 358 und 813 – das heißt, wir dürfen uns positionieren, wir dürfen uns abseilen und wir können uns rückhalten."

Michael Bartalov, aufsichtsführender Höhenarbeiter bei Bilfinger arnholdt.
Michael Bartalov, aufsichtsführender Höhenarbeiter bei Bilfinger arnholdt. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Doch natürlich ist der Gurt nicht alles, was ein Industriekletterer mit sich trägt. "Dann haben wir natürlich immer ein mitlaufendes Auffanggerät an einer losen Führung, das ist unser Backup-System. Wir haben ein Abseil- und Sicherungssystem, wir haben wahnsinnig viele Karabiner an uns und natürlich Seilklemmen und Rollen, damit wir uns auch bei einer Rettung behelfen können, in dem wir jemanden nach oben ziehen." Dann würde aus den vorhandenen Systemen ein Flaschenzugsystem gebaut, um die Rettung zu erleichtern.

"Zusätzlich haben wir noch Anschlagsysteme aus Stahlseil oder Rundschlingen, wir haben Stahlkarabiner in einer besonderen Normierung und mit einem speziellen Verschlusssystem (TriLock), dass sie nicht aus Versehen aufgehen können. Und natürlich haben wir unsere Seile und unser First-Aid-Kit dabei."

An Grenzen stoßen die Industriekletterer nur selten: "Es gibt mittlerweile kompakte automatische Auf- und Abseilsysteme mit einem Durchmesser von knapp einem Meter auf einem Meter", erklärt Bartalov. "Da läuft ein Seil durch und ich kann ich Gas geben wie mit einem Gashebel an einem Motorrad und dann kann ich mich damit rauf- und runterfahren." Das einzige echte Kriterium setzen die Seile: "Sie geben uns ein Limit, was wir an Gewicht reinbringen können. Aktuell nutzen wir das technologisch am weitesten entwickelte Seil mit einer Last von bis zu 15 Tonnen. Damit kann man arbeiten."

Keine zwei Einsätze sind gleich

Auf jede Aufgabe bereitet sich das Team gewissenhaft vor.
Auf jede Aufgabe bereitet sich das Team gewissenhaft vor. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Jeder Einsatz der Seilzugangsprofis ist neu. Das weiß auch Projektleiter Grauert: "Man muss wirklich beachten, dass jeder Job anders ist und dass jeder Job etwas Anderes mitbringt." Ein aktuelles Beispiel ist der Einsatz der Kletterer von Bilfinger arnholdt an den Tanks einer deutschen Raffinerie: "Da geht es um Isolierungsarbeiten, Montage, Demontage, Flansche setzen, Flanschen-Schulung, Rohrleitungen, Anstricharbeiten, Korrosionsschutzarbeiten oder gar um Havarien auf dem Tank."

Dieser Vorfall war sogar für seine abgebrühte Mannschaft etwas Außergewöhnliches: "Da ist ein Tank implodiert, das sah schon sehr spektakulär aus, der durfte nicht begangen werden. Dann hat der Michael (Bartalov – Anm.d.Red) durch seine Erfahrung eine Seilbahn gebaut, die so über den Tank führte, dass er fast schwebte und so nur 30 Prozent seines Körpergewichts auf den Tank gebracht hat."

Drohne, Gerüst und Hubwagen: Die Mitbewerber schlafen nicht

Trotz aller Vorteile: Die Industriekletterei hat Konkurrenz. Seien es Drohnen, Gerüste oder Hubarbeitsbühnen. Doch manchmal setzen sich die Kletterer trotz vorherrschender Vorbehalte in Deutschland durch: "Die Betreiber eines Windparks hatten sich gegen uns und für einen preislich günstigeren Drohneneinsatz bei der Rotorblattinspektion entschieden", erinnert sich Bartalov. "Nach zwei Wochen rief er an und bat uns, die Prüfung zu machen. Denn die Drohne kann halt nicht fühlen – und so wurden tote Käfer als Schäden identifiziert."

Doch die Kletterer lehnen die fliegenden Helferlein nicht per se ab: "Wir benutzen Drohnentechnik, wenn wir große Gebäude haben und keine Möglichkeit einen Zugang zu schaffen. Dann benutzen wir Drohnen, die eine kleine Pilotleine angebunden haben und dann fliegen wir mit der Drohne durch die Konstruktion und installieren Seile."

In den Höhen, in denen sich die Industriekletterer aufhalten, könnten Drohnen oder Hubarbeitsbühnen in manchen Fällen noch arbeiten - aber ob sie ihren Job dann ähnlich gut oder ähnlich angstfrei machen könnten, bezweifeln die Höhenarbeiter. -
In den Höhen, in denen sich die Industriekletterer aufhalten, könnten Drohnen oder Hubarbeitsbühnen in manchen Fällen noch arbeiten - aber ob sie ihren Job dann ähnlich gut oder ähnlich angstfrei machen könnten, bezweifeln die Höhenarbeiter. - (Bild: Bilfinger arnholdt)

Auch gegenüber Hubarbeitsbühnen können sich die Seilprofis behaupten, obwohl diese mittlerweile in Höhen von bis zu 185 Metern reichen. "Aber da möchten Sie dann nicht drinstehen", sagt Bartalov. "So wie das dann schwankt." Das sei auch der Punkt, ergänzt Grauert: "Wir haben Spezialisten, die es gewohnt sind, in der Höhe zu arbeiten. Wenn Sie normale Isolierer, Elektriker oder Schlosser auch nur 20 Meter hoch in der Hebebühne stehen haben, werden sie nervös. Unsere Leute nicht." Kletter-Experte Bartalov bestätigt das: "Im Gegensatz zu den meisten Leuten arbeiten wir sicher in der Höhe. Wir bereiten uns vor, wir kennen uns mit Material aus, wir wissen wo wir uns anschlagen können. Wir setzen uns auch mit der Gefährdungsbeurteilung auseinander, weil wir als Industriekletterer auch ganz andere Gefahren sehen." 

Für Grauert ist Industriekletterer mehr als ein Beruf: "Man muss die Belastung, die Industriekletterer haben - in der Höhe im Seil zu hängen, die Arbeiten auszuführen – sehen. Das hält man nicht aus, wenn man einfach mal so nebenbei klettern will, sondern da muss man eben auch Lust haben, da muss man eine Berufung haben. Was die Jungs da wollen ist Klettern und ihre Arbeit im Seil ausführen und sie wollen sich da sicher fühlen und eben Spaß haben."

Übrigens: Die Kollegen bei Bilfinger-arnholdt sind immer auf der Suche nach neuen Industriekletterern: "Wir wollen einstellen, wir wollen expandieren. Wir haben großes Interesse, Kletterer einzustellen", sagt Grauert. Sie haben auch Interesse? Dann melden Sie sich bei: christian.grauert@bilfinger.com

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