
Technisch dicht und das nachweisbar und effizient - das digitale Flanschkonzept von Hytorc kam bei der BASF zum Einsatz. (Bild: Hytorc)
Eine Sisyphusarbeit mit Null-Fehler-Toleranz erwartet die Monteure: Es gilt mehrere tausend Flansche mit Drehmomenten von bis zu 85.000 Nm zu verschrauben – 100-prozentig technisch dicht. BASF als Betreiberin nimmt eine Revision zum Anlass, um Effizienz, Qualität und Sicherheit der Synthesegasanlage in Ludwigshafen zu optimieren. Im Fokus steht der testweise Einsatz digitaler Verschraubungstechnik bei einem Teil der Flanschverbindungen. Ziel ist deren generelle Anwendung in der Zukunft. Ein Partner des Projekts ist der Verschraubungsspezialist Hytorc.
Die hochgesteckten Ziele der Optimierungsmaßnahmen gestatten keine Kompromisse. Generell soll während der Abstellung die Produktivität durch höhere Anlagenverfügbarkeit weiter ausgebaut werden. Zudem müssen die Sicherheitsmaßnahmen für Mensch und Umwelt stets gewährleistet sein.
Das digitale Flanschkonzept konzentriert sich im Kern darauf, das Fehlerpotential durch manuelle Tätigkeiten zu minimieren, um die Zuverlässigkeit der Anlage zu maximieren. Die Verantwortlichen bei BASF sind davon überzeugt, dass die Digitalisierung der Prozesse stark zur Wettbewerbsfähigkeit von Produktionsanlagen beiträgt. "Hytorc ist Marktführer, Pionier und zugleich Innovationstreiber in Sachen mobiler digitaler Verschraubungstechnik und damit der ideale Partner für dieses zukunftsweisende Projekt von BASF", sagt Patrick Junkers, Geschäftsführer der Hytorc Barbarino & Kilp GmbH, der mit seinem Team den Einsatz geplant und die Arbeiten vor Ort mit koordiniert hat.
Die Vorgabe von BASF an die Verschraubungsexperten ist eindeutig: Keinerlei Leckagen aufgrund undichter Flansche, denn Flanschleckagen bedeuten eine Gesundheitsgefährdung. Außerdem führen sie zu signifikanten Kostenerhöhungen. Erreicht werden soll dieses Maximalziel durch die Einführung einer automatisierten, digitalen Flanschmontage mit eindeutiger Flanschkennzeichnung, Datentransfer sowie Qualitätssicherung. "Durch die automatisierte Dokumentation schaffen wir eine Arbeitserleichterung bei der Qualitätssicherung. Ineffiziente manuelle und zeitintensive Zwischenschritte sowie Übertragungsfehler aus Papierchecklisten werden verringert beziehungsweise ganz vermieden", so Junkers.
Die Herausforderung ist gewaltig. Bei einer Großabstellung wird die komplette Produktionsanlage heruntergefahren, um gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen durchzuführen, Verbesserungen einzubringen und eventuelle Mängel aufzudecken. Der Prüfumfang bei der Flanschmontage ist abhängig von der möglichen Gefährdung für Mensch und Umwelt sowie vom Risiko eines Montagefehlers.
Beim Test kommen mobile "intelligente", sprich digitale, Schraubwerkzeuge ab 200 Newtonmeter bis 85.000 Newtonmeter zum Einsatz. Nach der eindeutigen Identifikation der Flansche sowie der Ermittlung der dazugehörigen Daten kann die Übergabe der Informationen per App an die beauftragte Montagefirma erfolgen, die die Durchführung der Arbeiten auf dem gleichen Weg zurückmeldet. Dieser konsequent digital durchgetaktete Prozess gewährleistet die bestmögliche Qualitätssicherung und ist die Basis für nachhaltig dichte Flanschverbindungen bei Einhaltung der neuen TA Luft sowie ein Garant für hohe Arbeitssicherheit.
Bilderstrecke: Die größten Turnarounds der deutschen Prozessindustrie

Im Werk Böhlen produziert Dow chemische Grundstoffe wie Ethylen und Propylen. Sie werden dort zum Beispiel zu Ausgangsstoffen für Hygieneartikel oder Produkte im Bauwesen weiterverarbeitet. Herzstück der Anlage ist ein Cracker, der über eine Pipeline vom Seehafen Rostock aus direkt mit Rohbenzin beliefert wird. Am Turnaround im Jahr 2016 waren rund 1.200 Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fremdfirmen beteiligt, berichtet der TÜV Süd (klicken Sie auf das Bild. um zum zugehörigen Artikel zu gelangen). Erledigen mussten sie rund 25.000 einzelne Tätigkeiten. – Bild: Dow – Horst Fechner

Die geplanten 50 Tage Stillstand kosteten Dow laut Angaben von TÜV Süd rund 50 Millionen Euro. Weitere Kosten des Turnarounds beliefen sich dem Servicedienstleister zu Folge auf 45 Millionen Euro. Es handelt sich dabei um Instandhaltungskosten und Kosten für technische Innovationen. Auf diesem Bild zu sehen ist der Dow-Standort Schkopau, der vom Werk Böhlen mit Rohstoffen versorgt wird und deshalb auch vom Großstillstand betroffen war. – Bild: Dow – Horst Fechner

Gigantische Anlagen gibt es auch in der Stahlindustrie. Der größte Hochofen Europas befindet sich beispielsweise im Thyssenkrupp-Werk in Duisburg-Schwelgern. Während dem Großstillstand dort im Jahr 2014 entstand dieses seltene Bild. Es zeigt das Innere des Hochofens und kann so nur alle 20 Jahre aufgenommen werden – wenn wieder ein Turnaround ansteht. Denn im Betrieb kann der Hochofen nicht betreten werden und somit auch nicht von innen fotografiert werden. – Bild: Thyssenkrupp

Bis zum Turnaround im Jahr 2014 hatte der Hochofen ‚Schwelgern 2‘ bereits 21 Jahre seinen Dienst verrichtet und insgesamt etwa 78 Millionen Tonnen Roheisen erschmolzen. Während den umfassenden Modernisierungsarbeiten wurde unter anderem die etwa zwei Meter dicke, feuerfeste Ausmauerung des Hochofengefäßes erneuert. Allein dafür waren mehr als 7.000 Tonnen Feuerfestmaterial notwendig. Überarbeitet wurde außerdem die Kühlung des Ofengeräts. Auch die Gießhalle wurde während des Großstillstands renoviert. Repariert wurden weiterhin der Winderhitzer, die Gasreinigung, die Schlackengranulation sowie die Entspannungsturbine. – Bild: Thyssenkrupp

Die Investitionen für die sogenannte Neuzustellung des Hochofen 2 im Jahr 2014 beliefen sich auf rund 200 Millionen Euro. Der komplette Turnaround fand zwischen Juni und September statt. Der Hochofen 2 steht auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp Steel in Duisburg und produziert Roheisen für die Stahlherstellung. – Bild: Thyssenkrupp

Insgesamt waren bis zu 1.200 Personen an dem Turnaround-Projekt am Hochofen 2 von Thyssenkrupp in Duisburg beteiligt. Die Mitarbeiter kamen sowohl vom Unternehmen selbst als auch von Fremdfirmen. – Bild: Thyssenkrupp

Gleichzeitig mit dem Hochofen in Schwelgern wurde auch die Stranggießanlage 1 in Duisburg-Beeckerwerth für rund 90 Millionen Euro modernisiert. Dieses Projekt konnte nur zeitgleich während der Stillstandzeit eines Hochofens umgesetzt werden, da sonst die Produktionsausfälle zu groß wären. Denn in der Stranggießanlage wird das anfangs im Hochofen erschmolzene Roheisen zu rechteckförmigen Strängen im Endlosverfahren gegossen und dann weiterverarbeitet. – Bild: Thyssenkrupp

Auch bei Shell werden regelmäßig Großstillstände durchgeführt. An dem von Anfang September bis Mitte Oktober 2019 dauernden Turnaround im Godorfer Werksteil der Rheinland Raffinerie waren in der Spitze rund 3.000 Personen beteiligt. Im Zentrum standen dabei die sogenannte Konversionsanlage sowie ein neuer Entsalzer, die zum Ende des Großstillstandes zusammen mit den anderen Anlagenteilen sukzessive wieder in Betrieb genommen werden. – Bild: Shell

Die Konversionsanlage sorgt dafür, dass bei der Rohölverarbeitung am Ende mehr hochwertige Mineralölprodukte, sogenannte Mitteldestillate, anfallen. Nach den nun durchgeführten Optimierungen kann die Aufarbeitung des Rohöls flexibler gestaltet und die Produktpalette je nach Anforderung des Marktes besser gesteuert werden. Dafür wurden im Rahmen des Turnarounds unter anderem eine neue Kolonne, neue Wärmetauscher, Luftkühler und Behälter installiert und in modernste Sicherheitstechnik investiert. – Bild: Shell
Bei den Flanschverbindungen der Synthesegas-Anlage handelt es sich größtenteils um Schraubverbindungen nach Montageklasse 3 beziehungsweise 2 gemäß VCI-Leitfaden zur Montage von Flanschverbindungen in verfahrenstechnischen Anlagen beziehungsweise nach Kategorie A (Versagen führt zur Gefährdung von Leib und Leben oder Umwelt), mindestens jedoch um Kategorie B (Gefährdung der Funktion) nach VDI/VDE 2862 – Blatt 2.
"Um allen Anforderungen nach automatisierter digitaler Flanschmontage sowie nach VDI/VDE 2862 – Blatt 2, VCI-Leitfaden, TA Luft sowie der Digitalisierung von Betrieb und Instandhaltung gerecht zu werden, haben wir ein Hightech-Verschraubungspaket geschnürt, das exakt auf den Anwendungsfall von BASF zugeschnitten ist", sagt Junkers.
Dieses mobile, hydraulische, auf Praxistauglichkeit im Feldeinsatz getrimmte Verschraubungssystem besteht aus bis zu vier mobilen hydraulischen Drehmomentschraubern mit abnehmbaren Drehwinkelsensoren in Kombination mit einer digitalen Prozess- und Verfahrenspumpe zur Erfassung, Analyse und Kontrolle sämtlicher Schraubvorgänge. Die verwendete Eco2TOUCH ermöglicht digitales, prozesssicheres, automatisiertes, hydraulisches Verschrauben ab einer Schraubengröße von M16 bis M120 und ist optional mit Scanner verfügbar oder auch über eine Betreiber-App bedienbar. Der Scanner liest zum Beispiel Strich- und QR-Codes sowie RFID-Tags ein und kann so unter anderem die Angaben zum jeweiligen Verschraubungsfall schnell und fehlerfrei übernehmen. „Die Eco2TOUCH als Steuerzentrale ist unverzichtbar für ein lückenlos sicheres digitales Flanschkonzept. Sie garantiert die optimale Überwachung und Systemtransparenz und erzeugt automatisch eine manipulationssichere Dokumentation aller Schraubverbindungen“, erläutert Junkers.
Ein weiterer elementarer Baustein des digitalen Flanschkonzepts von Hytorc ist die unmissverständliche Flanschkennzeichnung. FlangeFIX ist eine einfache, sichere und vor allem schnelle Methode, um die Anziehreihenfolge am Flansch zu vereinheitlichen, und kommt auch beim BASF-Projekt zum Einsatz. Das Kennzeichnungssystem eignet sich für sämtliche genormten Flanschverbindungen ASME, EN und COMPACT und gibt die detaillierte Montagereihenfolge aller Schraubverbindungen genau vor. Es passt auf alle Flanschabmessungen und ist individuell produzierbar für 1TOOL, 2TOOL, 4TOOL. FlangeFIX besteht aus hochtemperaturbeständigem Polyamidband oder wird als Edelstahlband gefertigt.
Anhand von drei unterschiedlichen, typischen Schraubfällen an der Synthesegas-Anlage musste das digitale Flanschkonzept von Hytorc beweisen, dass es einfach, schnell und vor allem auch unter den in der Praxis nicht immer idealen Bedingungen unbeirrbar sicher ist. Getestet wurde an Deckelverschraubungen (SW 46 Millimeter, Anzugsmoment 653 Nm), Flanschverschraubungen (SW 36 Millimeter Dehnschaftbolzen, Anzugsmoment 521 Nm) und Haubenverschraubungen an einem Wärmetauscher (SW 80 Millimeter, Anzugsmoment 6.172 Nm). Einhundertsechzig Verschraubungen wurden durchgeführt und digital dokumentiert. Als Werkzeug kamen hydraulische Schrauber der Hytorc-Baureihen AVANTI und STEALTH zum Einsatz, jeweils angesteuert von der Eco2TOUCH.

"Mehr als 90 Prozent der Dichtflächen in chemischen Anlagen sind erfahrungsgemäß nicht planparallel ausgerichtet. Das Anziehen von Flanschen rein nach Drehmoment führt daher nicht unbedingt zu nachhaltig dichten Flanschverbindungen", so Junkers. Zur Erkennung von Montage- sowie Flanschauffälligkeiten muss als Montagemethode daher mindestens das Drehmoment gesteuerte, Drehwinkel überwachte (DGD) Anziehen gewählt werden. Um Mängel im Verschraubungsprozess detektieren zu können, muss das Schraubsystem zudem in der Lage sein, für jeden einzelnen Schraubverlauf auch Schraubkurven zu erzeugen sowie eine statistische Auswertung darzustellen. Die von der Eco2TOUCH automatisiert erzeugten Daten wurden von den BASF-Verantwortlichen und den Hytorc-Experten minutiös ausgewertet.
Das Fazit des Feldversuchs ist durchwegs positiv, wie Dr.-Ing. Hans-Günter Wagner, Head of Global Projects and Digitalization bei BASF SE, feststellt: "Das Ziel wurde zu 100 Prozent erreicht." Die unter Praxisbedingungen durchgeführten Testreihen ergaben, dass die verwendete Schraubanlage geeignet ist, um Auffälligkeiten am Schraubfall/-prozess automatisiert zu erkennen und dem Monteur oder der QS-Abteilung mitzuteilen. Das Verhalten des Flansches und der Kontrollparameter ist plausibel und zu 100 Prozent nachvollziehbar. Die Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Schraubfalls ist gegeben. "Das hervorragende Ergebnis freut mich, überrascht bin ich jedoch nicht. Das digitale Flanschkonzept von Hytorc steht für Sicherheit und Effizienz ohne Wenn und Aber. Wir betrachten Verschraubungen stets ganzheitlich und liefern Komplettlösungen auf dem aktuellsten Stand der Technik, auf deren Praxistauglichkeit die Anwender 100-prozentig vertrauen können", resümiert Junkers.
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