Dieser Artikel beschreibt, wie eine Wasserturbine der Verbund Hydro Power GmbH anhand ihrer erwarteten Öltemperatur überwacht werden kann. Die Innovation liegt darin, dass erstmals Anlagenexperten ermächtigt werden, die Daten ohne Programmier- oder tiefgehende Data-Science-Kenntnisse zu verarbeiten. Dadurch fließt wichtiges Erfahrungswissen ein und beschleunigt den Prozess.
Der beschriebene Anwendungsfall von Condition Based Monitoring (CBM) kommt aus der vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance). CBM erlaubt, Fehler vorzeitig zu erkennen und Wartungsintervalle zu optimieren. Die Herausforderung liegt darin, mit umfangreichen und fehlerträchtigen Betriebsdaten umzugehen. Hier sind Anlagenexperten gefragt, die rohen Betriebsdaten zu interpretieren, zu korrigieren und mit seinem Wissen anzureichern.
Der Weg von den rohen Betriebsdaten bis zur praxistauglichen Früherkennungsregel umfasst mehrere Schritte. Zunächst müssen Rohdaten auf Plausibilität geprüft, und geeignete Teile der Daten zur Weiterverarbeitung identifiziert werden. Erst dann kann das Anlagenverhalten modelliert werden.
Ein Modell 'lernt' den Sollzustand der Anlage aus den historischen Daten, um in weiterer Folge Abweichungen im laufenden Betrieb früherkennen zu können. Weitere Erkenntnisse, wie beispielsweise Verschleißprozesse, können durch die Modellierung untersucht und optimiert werden.
Verstehen und Aufbereitung der komplexen Datenbasis
Bei der betrachteten Anlage handelt es sich um eine Wasserturbine, deren Betriebsdaten in Zusammenarbeit mit der Verbund Hydro Power GmbH analysiert wurden. Die Betriebsdaten umfassen Messungen verschiedener Temperaturen und Betriebszustände. Für den Prozess der Datenaufbereitung und Modellierung wurde die Datenanalysesoftware Visplore verwendet.
Üblicherweise fließt ein Großteil des Aufwandes ins Erfassen und Plausibilisieren der rohen Betriebsdaten, bevor ein Anlagenverhalten modelliert werden kann. So ist beispielsweise auf einen Blick ersichtlich, dass sich Betriebsdaten in ihrer Charakteristik ändern, nachdem Anfang 2017 Umbaumaßnahmen gesetzt wurden - etwa die Öltemperatur in unten stehender Abbildung 1. Auch Abschaltungsperioden sind für das Normalverhalten der Anlage irrelevant und werden aus der Betrachtung ausgeschlossen (siehe blassere Farben in Abbildung 1 für Zeitbereiche, in denen die Anlage nicht in Betrieb ist).
Diese ergänzte Information wird weiterführend in der Modellierung benötigt. Im vorliegenden Fall etwa wählen Anlagenexperten nur die grün hervorgehobenen Zeitbereiche 'After Modification' im Betrieb um den Normalzustand zu modellieren.
Bei anderen Betriebsdaten, wie der Wassertemperatur und dem Ölstand, fallen Ausreißer auf. Bei diesen Ausreißern handelt es sich um Werte in einem grundsätzlich gültigen Wertebereich, hier sind allerdings große Sprünge einzelner Minutenwerte nicht plausibel. Diese werden ausgewählt und durch einen Ersatzwert, etwa lineare Interpolation, korrigiert.
Nach langjähriger, persönlicher Erfahrung sind Fehler in Betriebsdaten üblich. Idealerweise würde eine Korrektur in der Betriebsdatenerfassung stattfinden, häufig ist das nicht vollständig möglich bzw. muss man mit bereits vorhandenen Fehlern umgehen. Hier ist zielführend, die Daten grafisch zu beurteilen und interaktiv zu bereinigen. Neben Vertrauen in die Daten werden so Erkenntnisse über den Betrieb der Anlage gewonnen.
Modellierung des Anlagenverhaltens
Die Modellierung beantwortet beispielweise folgende Fragen: "Welche Öltemperatur der Turbine wäre bei einer Wassereintrittstemperatur von 20 Grad Celsius und einem bestimmten Betriebszustand zu erwarten? Ist die Abweichung zur gemessenen Öltemperatur höher als ein Kelvin und damit möglicherweise ein Hinweis auf einen sich anbahnenden Fehler?"
Die Modellierung kann durch verschiedene Methoden erfolgen, von einfachen aber transparenten Methoden (white box) bis hin zu fortgeschrittenen aber schwierig interpretierbaren Methoden (black box, deep learning). In diesem Fall wurde eine intuitiv zu interpretierende Multivariate Regression gewählt. Die Modellbildung erfolgt hier in einem angeleiteten Prozess, bei dem Betriebsdaten identifiziert werden, die die Öltemperatur am besten erklären. Eine automatische Reihung nach Wichtigkeit hilft bei der Auswahl relevanter Einflussgrößen.
So entsteht in kurzer Zeit ein erstes Modell, das anhand der oberen Wassereintrittstemperatur und des sekundären Ölstands die erwartete Öltemperatur der Wasserturbine berechnet. Abwandlungen der Einflussgrößen, wie zum Beispiel die quadratische Potenz der oberen Wassereintrittstemperatur, werden automatisch berechnet und bewertet.
Operationalisierung der Fehlerfrüherkennung
Das Modell kann nun zur Fehlerfrüherkennung verwendet werden. Dafür ist die Auswahl des Schwellwerts zur Auslösung einer Warnung wichtig. In diesem Fall wird ein Schwellwert von ±0,6 Kelvin in den Validierungsdaten als geeignet identifiziert. Dieser Schwellwert erfasst zu 98,5 Prozent der Tage im Validierungsdatensatz als Normalbetrieb.
Bei der Validierung des Modells fällt beispielsweise ein Tag durch hohe Abweichungen vom Erwartungswert auf (siehe unten stehende Abbildung 4). An diesem Tag kommt es ab 15:40 Uhr wiederholt zu einer Abweichung der gemessenen Öltemperatur zum Erwartungswert von 0,7 Kelvin. Diesen Überschreitungen folgt um 22:40 die Abschaltung der Wasserturbine. Im konkreten Fall handelt es sich jedoch nicht um einen Fehler, sondern um eine zulässige Abweichung vom Normalbetrieb.
Das Modell und der Schwellwert können schlussendlich eine wertvolle Ergänzung zum SCADA System darstellen. Sobald die Öltemperatur jenseits des Schwellwertes liegt, wird eine Warnung abgesetzt. Anschließend kann die Gesamtsituation der Anlage mit den aktuellen Betriebsdaten bewertet und gegebenenfalls Maßnahmen gesetzt werden. Je nach Fehlerart können bereits im Vorhinein Maßnahmen gesetzt werden, anstatt reagieren zu müssen, wenn der Fehler bereits aufgetreten ist.
Die Betriebsdaten und Analysen können in Folge auch in größeren Abständen zur Planung und Optimierung der nächsten Revision verwendet werden. So ist auffällig, dass die Öltemperatur im Verhältnis zur Wassertemperatur über die Jahre steigt, und nach den Umbaumaßnahmenarbeiten am niedrigsten ist. Dieser Zusammenhang ist ein potenzieller Indikator für den Verschleiß beziehungsweise die Verschmutzung gewisser Anlagenteile und kann aus dem Modell abgeleitet werden, beispielsweise aus der Steigung des Regressionsmodells jeder Saison.
Rekapitulation und Ausblick
Sie haben erfahren, wie eine Fehlerfrüherkennung für eine Wasserturbine implementiert wird. Dabei werden ausschließlich Methoden verwendet, die mit häufig erfassten Betriebsdaten auskommen. Die Schritte umfassen das interaktive Aufbereiten der rohen Betriebsdaten durch Visualisieren, Plausibilisieren, Bereinigen und Anreichern mit Expertenwissen, gefolgt von einer Modellbildung durch Multivariate Regression.
Innovativ ist die Tatsache, dass Anlagenexperten ohne Programmierkenntnisse in kurzer Zeit ein Modell identifiziert, das im vorliegenden Fall bereits 7 Stunden vor Abschaltung der Turbine auf eine Abweichung der Betriebsdaten hinweist. Darüber hinaus liefern die aufbereiteten Betriebsdaten die Grundlage für weitere Erkenntnisse und Optimierungen wie bessere Wartungsintervalle und eine höhere Produktion.
Im vorliegenden Fall wurde die vorgestellte Methode weiterentwickelt und die Regression durch ein Bayes'sches Netz ersetzt. Im Rahmen der Initiative „digitales Kraftwerk“ prüft der Verbund zurzeit die Eignung für Teile des Kraftwerkparks. In diesem Prozess werden Kraftwerke aufgerüstet und die Methoden auf Ereignisse in der Vergangenheit evaluiert.
Erfahren Sie mehr unter https://visplore.com/links/conditionbasedmonitoring.
Gerne gehen wir in einem persönlichen Gespräch auf Ihre individuelle Fragestellung ein.