Zehn bis 15 Prozent aller Schäden an Dichtungen gehen auf Überhitzung zurück. Entsprechend häufig stoßen Instandhalter auf Polymere, die durch zu hohe Temperatur unbrauchbar geworden sind.
Das Prüflabor Richter hat vier Hauptschadensmechanismen festgestellt, denen Defekte an Dichtungen zugeordnet werden können: Medien, Temperatur in Verbindung mit Alterung, Mechanische beziehungsweise physikalische Einwirkungen und Herstellungsfehler.
Das Prüflabor geht nach der Auswertungen von über fünfhundert Schadensanalysen davon aus, dass rund zehn bis 15 Prozent Dichtungsausfälle auf Schäden durch Hitze zurückgehen. Doch selten ist übermäßige Wärme allein das Problem, sondern meistens die falsche Kombination von Temperatur und Zeit
Fachliches Hintergrundwissen zum Schadensbild
Viele Dichtungen bestehen aus Polymeren. Im Gegensatz zu Metallen hat dieses Material viel niedrigere Einsatztemperaturen. Besonders deutlich wird dies beim klassischen Naturkautschuk (NR), der bei Dauereinsatz nicht über 70° Celsius belastet werden sollte.
Durch die flächendeckende Einführung und Entwicklung von Synthesekautschuken in technischen Anwendungen seit über 80 Jahren stehen nun dem Praktiker auch hochtemperaturbeständige Elastomere zur Verfügung, die allerdings auch Ihren teils sehr hohen Preis haben. So ist zum Beispiel eine Perfluorkautschukmischung (FFKM, Hitzebeständigkeit: rund 260 bis 300° Celsius) um bis zu 5.000 mal teurer als eine SBR-Kautschukmischung (Hitzebeständigkeit maximal 100° Celsius).
Besonderheiten der Werkstoffe
Bei Kunststoffen lassen sich maximal zulässige Dauertemperaturen einfach über den Schmelzpunkt definieren, während dies bei Elastomeren etwas schwieriger ist, weil diese keinen Schmelzpunkt besitzen. Wäre die Zersetzungstemperatur von Elastomeren das Grenzkriterium, käme man auf sehr kurze zulässige Einsatzzeiten.
Damit verlässt man bei der Definition der Temperatureinsatzgrenzen von Elastomeren den sicheren Boden eines eindeutigen physikalischen Grenzkriteriums und bewegt sich auf einem schwammigen Fundament.
Bei Elastomerwerkstoffen hat sich im Allgemeinen die Vorgehensweise durchgesetzt, dass man als zulässige Dauertemperatur die Temperatur bezeichnet, bei der ein Elastomer mindestens 1.000 Stunden eingesetzt werden kann. Und als Grenzkriterium für den Verlust an Elastizität in der Alterung durch Wärme und Sauerstoff (also einem chemischen Schadensmechanismus) setzt man den Verlust der Hälfte der ursprünglichen Reißdehnung an.
Aus dieser Definition erklären sich sogenannte Dauertemperaturen für NBR-Elastomere von 100° Celsius, für peroxidisch vernetzte EPDM-Elastomere von 150° Celsius und für FKM-Werkstoffe von mindestens 200° Celsius, welche allerdings nur beispielhaft an Musterrezepturen überprüft wurden beziehungsweise werden.
Thema Einwirkzeit
Die Temperaturabhängigkeit von chemischen Reaktionen folgt dem Arrheniusgesetz, das stark vereinfacht auf die Regel reduziert werden kann, dass um zehn Kelvin höhere Temperaturen als diese genannte Dauertemperaturen die zulässigen Einsatzzeiten (1.000 Stunden) halbieren, Temperaturen um zehn Kelvin weniger führen dagegen zu einer Verdoppelung dieser genannten Einsatzzeiten.
Damit lässt sich das Problem der thermischen Überbeanspruchung bei Elastomeren also als eine deutliche Überschreitung der zulässigen Einsatzgrenzen aus Temperatur und Zeit beschreiben. Bei kurzen Einsatzzeiten sind daher auch relativ hohe Wärmezustände zulässig, dafür aber bei langen Einsatzzeiten nur noch erstaunlich niedrige Wärmezustände, zum Beispiel 60° Celsius bei NBR-Elastomeren bei rund zwei bis fünf Jahren Einsatzdauer (kontinuierlich).
Beschreibung des Problems
Bei einer thermischen Überbeanspruchung über lange Zeiten hinweg versprödet der O-Ring beziehungsweise die Dichtung über den ganzen Querschnitt. Beim Biegen zeigen sich die Risse bevorzugt zur Luftseite hin oder an den Dichtflächen, an welchen die Wärmezufuhr erfolgte.
Bei EPDM-Compounds, deren Basispolymer nur aus Kohlen- und Wasserstoff besteht, zeigt sich nach Überhitzung in der Regel eine rußige Oberfläche, die beim Reiben mit dem Finger schon bei leichtem Druck abfärbt oder schmiert. Dichtungen aus NBR-Kautschuk bekommen nach thermischer Überbeanspruchung eine glänzende Oberfläche, FKM-Elastomere verkleben dagegen mit der meist metallenen Gegenflächen.
Kurzzeitige starke Überhitzungen führen zu tiefen feinen Rissen (Schalenbildung beziehungsweise Versprödung nur im Randbereich), die sich erst beim Ziehen oder Biegen der Dichtungen zeigen, ohne dass die Dichtung insgesamt versprödet. Durch die zeitlich kurze Belastung und die isolierende Wirkung des Gummimaterials kann zu hohe Hitze die inneren Bereiche noch nicht sichtbar schädigen.
Bei einer Langzeitüberhitzung wird die ganze Dichtung – wie in einer beschleunigten Heißluftalterung – eher homogen geschädigt. Bei einer Kurzzeitüberhitzung wird oft nur der Bereich geschädigt, an welchem die übermäßige Wärme anlag.
Auswirkungen des Schadens
Bei kurzzeitiger starker thermischer Überbeanspruchung wird die Oberfläche der Dichtung extrem versprödet, sodass bereits kleine lokale Dehnungen, zum Beispiel durch die druckbedingte Walkarbeit bei O-Ringen oder die Mikroverformung der Dichtkante eines Radialwellendichtrings, zu Rissbildungen und damit zu Leckagen führen.
Bei einer kontinuierlichen thermischen Überbeanspruchung wird der ganze Dichtungsquerschnitt spröde, kann sich nicht mehr unter Betriebsbedingungen verformen, ist selber stark deformiert und kann damit wechselnden Dichtspalten nicht mehr folgen.
Präventionsmaßnahmen
Folgende Fragen können dem Praktiker helfen diesen Schaden zu vermeiden:
- Sind die tatsächlichen Temperaturbelastungen der Anwendung bekannt?
- Welche maximale Dauergebrauchstemperatur hat mein elastomerer Werkstoff?
- Gibt es Hitzespitzen? Wie hoch, wie lange?
- Entstand die Überhitzung durch fehlende Schmierung? (zum Beispiel Überhitzung einer Gleitringdichtung an den Anlageflächen des Gleitringes durch trockenen Anlauf)
- Findet ein Energieeintrag statt, beispielsweise durch Schwingungen, der dann zu einer inneren Erwärmung führt?
Achtung: Das Schadensbild "Überhitzung" ist nicht immer leicht von einem chemischen Angriff abzugrenzen. Bei letzterem finden sich Risse bevorzugt auf der Produktseite, die Dichtung selbst ist oft noch elastisch, bricht aber bei starkem Biegen oder Ziehen.
Praxistipps zu Prüfmöglichkeiten und Normempfehlungen
Generell empfiehlt es sich die Temperaturgrenzen eines Werkstoffes mithilfe der Heißluftalterung zu bestimmen (zum Beispiel nach ISO 188, DIN 53508 oder ASTM D573). Wenn die maximalen Temperaturbelastungen und die dazugehörigen Zeiten einer technischen Anwendung relativ gut abgeschätzt werden können, also Temperaturkollektive bekannt sind, kann über vereinfachte Arrheniusmultiplikatoren eine isotherme Ersatzbeanspruchung ermittelt werden. Wenn man nun nach letzterer prüft, kann man eine reale Anwendung sehr gut in der Labor-Heißluftalterung simulieren.
Erfahrungsgemäß werden rezepturbedingte Einflüsse unterschätzt. Bereits Heißluftalterungen über ein bis zwei Wochen oder entsprechend lange Verformungsrestversuche mit Druck reichen aus, um aufzuzeigen, ob tatsächlich ein guter Stand der Technik bei der jeweiligen Mischung vorliegt: Ein Vergleich mit Rezepturvorgaben aus ISO 3601-5 ist empfehlenswert.
Bei sehr kritischen Anwendungen empfiehlt sich, wo möglich, eine Heißluftalterung am Bauteil (wie einem O-Ring) durchzuführen. So erhält man nicht nur eine Aussage über den Werkstoff, sondern auch über dessen Verarbeitung, welche die Hitzebeständigkeit nachhaltig beeinflussen kann.
Prüflabor Richter
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