Rund 50 Millionen Lager müssen jedes Jahr getauscht werden. Warum diese Komponenten ausfallen und wann es soweit ist, hängt von zahlreichen Variablen ab. Genaue Vorhersagen zu treffen, ist dementsprechend schwierig. SKF wird künftig in ihrem neuen Testzentrum "Bearing Rigs for Accelerated Verification Experiments" (BRAVE) die Mechanismen dahinter genauer untersuchen. Das Ziel: Die Entwicklung einer schnellen, genauen und wiederholbaren Vorhersagemethode der verbleibenden Gebrauchsdauer.
Rund zehn Milliarden Lager stellt SKF jedes Jahr her. Angesichts der oft rauen Einsatzbedingungen ist ihre Zuverlässigkeit beeindruckend hoch: Rund 90 Prozent dieser Komponenten halten länger als die Maschinen, in die sie eingebaut sind, nur 0,5 Prozent fallen bei laufendem Betrieb aus. Das klingt nach wenig, entspricht aber immer noch rund 50 Millionen Lagern. Für jeden einzelnen Ausfall zahlen die Betreiber – in Form von Produktionsausfällen, Schäden an angrenzenden Bauteilen und Reparaturkosten.
Ein Drittel der Lager fällt wegen Ermüdungserscheinungen aus, ein weiteres Drittel wegen mangelnder Schmierung. Verunreinigungen sind für ein Sechstel der Ausfälle verantwortlich. Den Rest verursachen Faktoren wie falsche Handhabung und Montage, höhere oder andere Belastungen als vorgesehen und schlechte Lagersitze.
Um vorherzusagen, warum und – vielleicht noch wichtiger – wann ein Lager ausfallen wird, ist eine Vielzahl von Variablen zu berücksichtigen, beispielsweise die vorgesehene Anwendung, die Betriebs- und Umgebungsbedingungen, die zu verwendenden Schmierstoffe und die zu erwartenden Belastungen. Somit ist bei der Entwicklung neuer Lager deren Charakterisierung und die Abschätzung der Lebensdauer oft langwierig, kostenintensiv und komplex.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, errichtet SKF derzeit ein Technologiezentrum im niederländischen Houten. Hier werden die SKF Experten die Mechanismen hinter den unterschiedlichen Lagerausfällen experimentell untersuchen. Außerdem wollen die Experten das Zentrum unter dem Namen 'Bearing Rigs for Accelerated Verification Experiments' (BRAVE) dazu nutzen, eine schnelle, genaue und wiederholbare Vorhersagemethode der verbleibenden Gebrauchsdauer dieser Komponenten zu entwickeln.
Prüfstände für unterschiedliche Fragestellungen
"Wir brauchten flexible Prüfstände, auf denen wir verschiedene Anwendungsbedingungen nachbilden können. Darauf wollen wir auch untersuchen, wie sich ein Lagersystem mitsamt seinen Werkstoffen und der Schmierung bei unterschiedlichen Belastungen und Drehzahlen verhält", erklärt Edwin Tummers, Teamleiter für Experimental Verification bei SKF. "So können wir feststellen, wie Defekte entstehen, wie sie sich ausbreiten und wie lange das jeweilige Lager hält, bis eine Wartung erforderlich ist." Die Testszenarien lassen sich in die drei Setups 'Kontaminieren', 'Initiieren' und 'Ausbreiten' unterteilen, die oft nacheinander gefahren werden:
- Mit 'Kontaminieren' lassen sich auf verschiedene Weise Defekte an den Lagern erzeugen, dazu gehören Eindrückungen, Abschürfungen oder elektrische und korrosive Oberflächenangriffe. Dabei können auch unterschiedliche Schmierstoffe zum Einsatz kommen.
- Initialschäden lassen sich im Setup 'Initiieren' erzeugen.
- Mit 'Ausbreiten' können die Entwickler bestimmen, wie sich unterschiedliche Belastungs- und Drehzahlbedingungen auf die Ausbreitung dieses Schadens auswirken.
Diese Prüfstände lassen sich getrennt voneinander nutzen, sind aber auch frei miteinander kombinierbar. Das macht eine Vielzahl an Testszenarien möglich. "So haben die SKF Forscher die Möglichkeit, viele verschiedene Lagervarianten schnell zu bewerten, um für jede Anwendung die optimale Lösung zu finden", sagt Urszula Sachadel, Teamleiterin für Bearing Steels, die das Projekt gemeinsam mit Tummers verantwortet.
Aufzeichnen und überwachen
Die im Testzentrum entwickelten Prüfabläufe werden genau gesteuert und überwacht, ihre Daten zu Schwingungen, Temperatur und Belastung kontinuierlich aufgezeichnet. Diese lassen sich während oder nach den Experimenten im Detail analysieren. "Mit BRAVE werden wir potenzielle Lagerlösungen schnell bewerten, einordnen und die Auswirkung verschiedener Herstellungsprozesse auf die Produkteigenschaften verstehen können", führt Sachadel weiter aus. "Zudem können wir die Daten zu einem späteren Zeitpunkt für die Entwicklung künstlicher Intelligenz und für Technologien des maschinellen Lernens nutzen, um die Eigenschaften unserer Bauteile vorherzusagen oder zu verbessern."
Neben den Neuentwicklungen wird BRAVE auch das Geschäftsfeld Rotating Equipment Performance (REP) und die Wiederaufarbeitung voranbringen. "Wir wollen uns die Lager nach verschiedenen Stufen der Rekonditionierung ansehen und so herausfinden, wie sich der Prozess auf ihre Leistung auswirkt und wie sich diese steigern lässt", fasst Sachadel zusammen. "Dank BRAVE werden wir viel Neues lernen, und wir freuen uns jetzt schon darauf, die neuen Erkenntnisse mit unseren Kunden zu teilen."
Bearbeitet von Stefan Weinzierl