Die Instandhaltungswerkstatt in Ashford ist Teil der Infrastruktur beim "Train as a Service"-Modell für die neuen ICE-Züge von Hitachi.

Die Instandhaltungswerkstatt in Ashford ist Teil der Infrastruktur beim "Train as a Service"-Modell für die neuen ICE-Züge von Hitachi. - (Bild: Hitachi Ltd)

Die Frage ist, welche Anteile in der künftigen Industrie 4.0 an den notwendig werdenden Arbeitsumfängen auf jeden dieser Akteure entfallen wird – oder ob dann überhaupt noch die Rede von einer Trennung zwischen Produktion und Instandhaltung sein kann.

Im Moment werden vor diesem Hintergrund die verschiedensten Szenarien diskutiert mit dem Ziel, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, insbesondere disruptive. Dabei handelt es sich um Lösungen, die zu völlig neuen Wertschöpfungsketten führen und möglichst einen Wettbewerb aus anderen Strukturen heraus ausschließen beziehungsweise gegenstandslos machen.

X als Variable für Waren oder Dienstleistungen

Eines dieser Geschäftsmodelle wird in Anlehnung an die in der IT bereits üblichen Angebote von "Software as a Service" als "X as a Service" bezeichnet. Das X bedeutet hier im wahrsten Sinne eine Variable, kann es doch für sehr verschiedene Waren oder Dienstleistungen stehen. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass X ein Bedürfnis befriedigt. Das klingt abstrakt, aber einige Beispiele zeigen, wie dieser Gedanke bereits heute konkret umgesetzt wird.

Eines der ersten und häufig zitierten Beispiele ist das "Power-by-the-Hour-Angebot" des Triebwerkherstellers Rolls-Royce, das unter der Marke TotalCare vermarktet wird. Das X steht hier für die Leistung, Flugzeuge durch die Luft zu bewegen. TotalCare umfasst die Bereitstellung des Triebwerkes zusammen mit dessen Inspektion, Wartung und Instandsetzung für die gesamte Lebensdauer des Gerätes. Dabei bleibt das Antriebsaggregat Eigentum von Rolls-Royce: Die Fluglinien bezahlen für die Wertschöpfung, die es erbringt. Damit entfallen jegliche Zahlungen, wenn das Triebwerk ruht oder außer Betrieb ist.

Ein weiterer oft zitierter Business-Case ist das Betreibermodell von Kaeser, dem Anbieter von Produkten, Dienstleistungen und Systemen zur Versorgung mit Druckluft. Beim Erwerb von "Druckluft as a Service" bezieht der Kunde des Unternehmens das Medium zum vertraglich vereinbarten Preis pro Kubikmeter unter der Vereinbarung Pay-as-you-use. Betrieb und Betreuung der Druckluftversorgung übernimmt Kaeser, die Anlagen stehen unter ständiger Kontrolle der Service-Zentrale. Dabei setzt Kaeser eine Industrie 4.0-Lösung mit vorausschauender Wartung um. Das bedeutet, die Funktionen der Druckluftstationen auf der ganzen Welt zu überwachen. Die dabei anfallenden riesigen Datenmengen müssen dann in zu Echtzeit analysiert werden, um über Prognosemodelle potenzielle Probleme zu erkennen und bereits vor dem Auftreten einer Störung zu beheben.

In beiden Fällen erfordert die Umsetzung des Angebots einen großen Aufwand an der Erfassung von Daten vor Ort, an EDI (Electronic Data Interchange) und schließlich an der Umsetzung der Daten in anwendbare Informationen zur Betriebsführung und Instandhaltung der Anlagen.

Das Modell von Rolls-Royce (Symbolbild links): Flugkilometer as a Service und das Modell von Kaeser: Druckluft zum Kubikmeter-Preis.
Das Modell von Rolls-Royce (Symbolbild links): Flugkilometer as a Service und das Modell von Kaeser: Druckluft zum Kubikmeter-Preis. - (Bild: Rolls-Royce und Kaeser)

Service mithilfe von Big-Data-Analytik

Die Frage ist, welche technischen Möglichkeiten aber künftig zur Verfügung stehen werden, um derartige und noch größerer Projekte wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen. Aus der Antwort ergeben sich wichtige Rückschlüsse insbesondere darauf, inwieweit diese Geschäftsmodelle die Position der Hersteller im Bereich der Instandhaltung und auch der Betriebsführung verändern.

Wertvolle Erkenntnisse in diesem Bereich wird sicherlich ein Großprojekt in Großbritannien liefern. Hier kommt der ICE künftig als "Train as a Service". Mithilfe innovativer Technologien strebt Großbritannien an, das 40 Jahre alte Bahnnetz dieselbetriebener Intercity-Züge in ein elektrisches Netz umzuwandeln.

Die neuen Züge sollen dem Design der Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge entsprechen. Hitachi wird diese Züge entwickeln, ebenso wie das automatische Zugkontrollsystem.

Als Eigentümer der Züge übernimmt Hitachi aber auch die Verantwortung für deren professionelle Instandhaltung. Lediglich für pünktliche Dienstleistungen wird die britische Eisenbahnverkehrsgesellschaft Hitachi entlohnen. Damit geht Hitachi ein beträchtliches finanzielles Risiko ein.

Das Unternehmen ist jedoch überzeugt, den Service zuverlässig mithilfe von Big-Data-Analytik managen zu können. All das soll zu Einsparungen im Bereich von 20 Millionen Pfund führen, nicht gerechnet die beträchtlichen Senkungen der Instandhaltungskosten.

Immense Herausforderungen

Die Herausforderungen bezüglich der Datenverarbeitung bei diesem Projekt sind immens: Mit über 3,6 Millionen Datenpunkten pro Sekunde, das bedeutet Petabytes an Daten, sind komplexe Auswertungen zu ermöglichen, sowohl in Echtzeit als auch als Batch-Verarbeitung. Zudem sollen den Anwendern, also dem Service von Hitachi wie auch den Partnern bei der britischen Bahn, etwa in Stellwerken, anpassbare Visualisierungen zur Verfügung gestellt werden. Eine zentrale Rolle in diesem Informationssystem wird die IoT-Datenplattform Pentaho von Hitachi Vantara spielen.

Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Projekte hat Hitachi die neue Geschäftseinheit Hitachi Vantara geschaffen, in der datenbasierte Lösungen für Unternehmen aus Handel und Industrie bereitgestellt werden sollen. Das neue Unternehmen wird die Aktivitäten von Hitachi Data Systems, Hitachi Insight Group und Pentaho unter dem Namen Hitachi Vantara zusammenführen. Ziel ist es dabei, das Potenzial von Hitachi zur Innovation sowohl im Bereich Operational Technology (OT) als auch in der Informationstechnologie (IT) bestmöglich zu nutzen.

Sensoren erkennen Fehlerursachen

Jonathan Doering, Data Scientist bei Hitachi Vantarna in London, ist von dem auf über 25 Jahre angelegten Projekt beeindruckt. "Hier geht es nicht nur um IT-Lösungen und Software, sondern um ein Gesamtkonzept für Nutzer und Betreiber einer Großanlage – wobei die Endnutzer, die Fahrgäste, sehr zahlreich sind und sicherlich bei Problemen mit Kritik nicht sparen werden", erklärt er.

"So sind allein in jeder Zugtür zahlreiche Sensoren eingebaut. Die Türen sind neuralgische Punkte. Schließen sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht, kann der Zug nicht abfahren, und die Einhaltung des Fahrplans gerät in Gefahr. Das System muss deshalb erkennen, worin die Ursache besteht. Ist die Tür defekt? Oder hält ein Fahrgast sie offen? Oder warum blockiert eine Toilettenspülung? Auch hier sind zahlreiche Sensoren vorgesehen, um die Funktion zu überwachen. Neben der ad-hoc-Analyse, geht es aber vor allem darum, frühzeitig zu erkennen, wenn sich ein Defekt anbahnt. Dann besteht beispielsweise die Möglichkeit, beim nächsten Halt kurzfristige Maßnahmen zu ergreifen oder vorgezogene Instandhaltungsmaßnahmen in der Werkstatt zu planen."

Bilderstrecke: Die größten Industriedienstleister der Welt

Für den Analyse-Experten Doering ist deshalb klar, dass die großen Systeme der Betriebsführung und Instandhaltung, die in den kommenden Jahren entstehen, nur in enger Zusamenarbeit zwischen Betriebsingenieuren, Experten für Automatisierungstechnik, IT-Spezialisten und Data Scientists gelöst werden können. "Wir müssen genau verstehen, wie die Technik aufgebaut ist und funktioniert. Die Black Box des Machine Learning allein reicht da nicht aus", ist er überzeugt.

Ein solches Vorgehen ermöglicht unter anderem Lösungen, die auch den Passagieren des Zugs einen zusätzlichen Schutz bieten: Dank der Integration von GPS in das Steuersystem wird die Position der Zugtüren bezüglich des Bahnsteigs exakt überwacht. Damit lassen sich dort, wo der Bahnsteig gefährlich kürzer ist als die Gesamtlänge des Zuges, einige Türen nicht öffnen. Das ist es, was Hitachi mit der Zusammenführung von OT und IT im IoT meint.

Pentaho-Lösung als Schnittstelle

Um all das zu erreichen, muss jedoch ein umfassender Zugriff auf die Informationen des Herstellers bestehen – auch das demonstriert dieser Anwendungsfall. Zum Einsatz kommt eine Vielzahl von Lösungen, Mechanismen und Programmen, wobei die Pentaho-Lösung eine Schnittstelle zwischen ihnen bildet, indem sie die Datenintegrationsprozesse, Analyseanwendungen und Datenvisualisierungen abbildet.

Damit wird Pentaho als Backend für eines der größten momentan laufenden Infrastrukturprojekte in Großbritannien genutzt. Die Stärken der Pentaho-Lösung liegen dabei in der schnellen Entwicklung, Skalierung und Verlässlichkeit, der Fähigkeit, große Volumina von Daten zu integrieren und wichtige Einblicke mittels Analysefunktionen zu ermöglichen. Somit gehört das hierbei angewandte Konzept "Train as Service" zu den Pionierprojekten im IoT-Bereich. Und sicherlich wird es auch Vorbildwirkung haben für industrielle Systeme, die in ähnlichem Umfang die Verbindung zwischen den Herstellern und den Nutzern von Ausrüstungen ermöglichen. Dies demonstriert die zunehmende Bedeutung der Hersteller beziehungsweise der Anbieter von "X as a Service" nicht zuletzt in der Instandhaltung.

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