Ersatzteillager

In vielen Ersatzteillagern die gleichen Probleme: Zu viele Teile, falsche Teile, unauffindbare Teile, zu teure Teile, unnütze Teile. Das Start-up Sparrow hat eine Lösung entwickelt. (Bild: industrieblick/stock.adobe.com)

Das Start-up Sparrow mischt seit kurzem den Markt im Ersatzteilmanagement auf. Mit Ideen wie dem Pooling von Ersatzteilen und schlauen Algorithmen haben Gründer und CEO Meir Veisberg und sein Team es geschafft, nicht nur eine erkleckliche Anzahl an Kunden zu überzeugen, sondern nebenbei auch noch den Startup-Award der Instandhaltungsmesse In.Stand zu gewinnen. Wir haben den Software-Experten zum Erfolg befragt.

Wie und wann sind Sie auf die Idee gekommen, in den Bereich industrielle Ersatzteile einzusteigen?

Meir Veisberg: "Die Idee entstand vor etwa drei Jahren. Im Grunde kamen unsere ersten beiden Investoren mit dem Problem zu mir. Ihnen war ein Problem aufgefallen: Ersatzteile. Einer von ihnen arbeitet in der Automobilbranche, der andere in der Logistikbranche, und beide hatten die gleiche Art von Herausforderung: Auf der einen Seite haben viele Kunden Probleme mit fehlenden Ersatzteilen oder nicht das richtige Ersatzteil auf Lager. Auf der anderen Seite haben sie viel zu viele Ersatzteile in ihren Regalen. Das scheinen also zwei Seiten derselben Medaille zu sein.

Mir gefiel die Komplexität des Ganzen. Ich musste viel lernen, etliche Gespräche führen und Fachliteratur lesen. Als studiertem Physiker hat es mir Spaß gemacht, mir die Formel genau anzuschauen und zu verstehen, was die wichtigste grundlegende Ursache für dieses Problem ist. Das Herzstück dieser Idee war das Konzept, dass Ersatzteile als Vermögenswert aufgrund ihrer geringen Probabilität generell sehr schwer zu verwalten sind. Wenn zum Beispiel an Ihr Auto denken, dann besteht an einem beliebigen Punkt eine Wahrscheinlichkeit größer Null, dass etwas kaputtgeht – der Vergaser etwa. Aber sie ist so gering, dass man sich natürlich nicht ständig Gedanken darüber macht. Denn wenn er dann wirklich kaputtgeht, fahren Sie einfach in die Werkstatt und bekommen innerhalb eines Tages einen neuen Vergaser. Diese Möglichkeit haben große Unternehmen oft nicht. Dar kann es 60 Tage dauern, bis sie ein neues Teil bekommen. In dieser kleinen Geschichte liegen die Ursachen des Problems: Ein Defekt ist sehr schwer vorherzusagen, er kann sehr teuer werden, es dauert lange, bis man ein Ersatzteil bekommt - und das alles in einem Umfeld, in dem es fast keine Daten für Ihre Entscheidungsfindung gibt."

Hatten Sie Erfahrung im Ersatzteilmanagement, als Ihre Investoren auf Sie zukamen?

Veisberg: "Nein, gar keine. Aber ich hatte das Glück sowohl fachkundige Investoren, als auch erste Mitarbeiter zu haben. Die  meiste Zeit meines Berufslebens war ich im Software-Produktmanagement tätig und entwickle seit 20 Jahren Anwendungen hauptsächlich für Unternehmen und Konzerne. Ich habe auch im Finanz- und Risikobereich gearbeitet und meiner Meinung nach müssen wir das Ersatzteilmanagement so betrachten, wie eine Bank das Risiko betrachtet, denn das Risiko, an ein Ersatzteil zu kommen oder eben nicht, muss man wirklich verstanden haben. Man muss dieses Risiko einpreisen und so wiedergeben, dass jemand eine Entscheidung treffen kann."

Wenn Sie sich die Unternehmen heutzutage ansehen, was sind die Schwierigkeiten, wenn es um Ersatzteile geht?

Verisberg: "Es gibt viele Probleme. Der CFO zum Beispiel wird das in den Ersatzteilen gebundene Betriebskapital freigeben wollen, der Einkäufer weiß, dass er zu viel und zu teuer einkauft, wozu noch die Schwierigkeiten in der Beschaffung aufgrund fehlender oder unkorrekter Daten über die Ersatzteile kommen. Diese fehlerhaften Daten waren das erste Problem, das wir angegangen sind. Denn in vielen Unternehmen ist sogar die grundlegende Identifizierung des Teils nicht immer möglich. Ganz zu schweigen von Spezifikationen, Konfigurationen und Anpassungen, die für eine Kaufentscheidung nötig sind. Der Einkauf hat nicht die Mittel, diese Entscheidung zu treffen. Also muss er zum Wartungsteam, das wiederum keine Zeit hat, weil es in der Werkstatt ist. Dieser Prozess geht also stundenlang hin und her. Außerdem sind Ersatzteile oft mehrfach in Datenbanken.

Kein Wartungsleiter will überdies bei einem Schaden ohne das benötigte Teil dastehen. Aber wenn wir offen darüber reden, dann geben sie zu, dass a) es für sie sehr schwer ist, aufgrund der schlechten Datenlage und der Masse an Teilen ein Teil zu finden. Gleichzeitig besteht b) ein Budgetdruck, wodurch spezifische teure Teile vernachlässigt werden und vermeintlich günstigere Teile auf Lager liegen. Aber es besteht nicht unbedingt ein direkter Zusammenhang zwischen dem Preis und der Ausfallwahrscheinlichkeit. Und am Ende haben sie Teile, die sie nicht verwenden und nicht diejenigen, die sie brauchen.

Wir haben also als Erstes vor allem Datenprobleme gesehen, als wir uns mit der Thematik Ersatzteilmanagement auseinandergesetzt haben. Wie verbindet man also all diese Erkenntnisse zu einer guten Empfehlung? Der Mensch denkt nicht probabilistisch. Es gibt eine große Aktualitätsverzerrung, das heißt, wenn Teile in den letzten ein oder zwei Jahren häufiger oder seltener ausgefallen sind, werden sie auch häufiger oder seltener auf Lager sein. Aber so funktioniert Zuverlässigkeit nicht auf Dauer. Dafür gibt es Modelle und es müssen Wahrscheinlichkeiten bewertet werden. Das zweite Problem, bestand darin, dass wir diese Tools nicht hatten, dass wir nicht umfassend darüber nachdenken konnten und dass uns nicht alle Daten zur Verfügung standen. Und das dritte Problem war die Frage, wie mit Risiken umgegangen wird."

Wie funktioniert die Lösung von Sparrow und was macht sie so besonders?

Veisberg: "Wir helfen unseren Kunden, den richtigen Bestand an Ersatzteilen zu haben, indem wir uns drei Dinge anschauen: das Teil selbst, die intrinsische Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf Herstellerangaben und unseren Erfahrungen mit anderen Kunden sowie die Historie. Dazu kommt unser vernetzter Pool: Wir wissen, wo diese Teile bei Bedarf im Netzwerk verfügbar sind. Es ist eine vertikal integrierte Lösung von der Lieferkette über das Lager bis hin zum Ersatzteil. Das ist einzigartig auf dem Markt, und nach unserer Erfahrung und den Erkenntnissen durch unsere Kunden und aus der Forschung ist dies die einzige Möglichkeit, die Versorgung mit Ersatzteilen wirklich gut zu planen.

Da die Wahrscheinlichkeit, dass jedes Bauteil ausfällt, gering ist, ist es fast nie sinnvoll, dass ein einzelner Standort alle Ersatzteile führt. Man muss sich unsere Idee vorstellen wie eine Krankenversicherung, bei der wir als Gesellschaft unsere gesundheitlichen Risiken bündeln. Bei Ersatzteilen aber wird dieses Risiko nicht gebündelt. Jeder Standort – oft selbst innerhalb eines Unternehmens - ermittelt das Problem für sich selbst. Dabei könnten sie das Risiko eigentlich bündeln und weniger Teile lagern, aber sie tun das nicht, wegen der Daten, der Planung und der Herangehensweise. Also führen wir das zusammen. Wir können das Risiko innerhalb von Unternehmen und zwischen Unternehmen bündeln. Wir errichten ein sehr großes Netzwerk aus vielen Teilnehmern, die miteinander handeln können. Das ist es, was wir im Bereich Ersatzteile anbieten."

Wie sind Sie auf diese Lösung gekommen?

Veisberg: "Ich muss zugeben, dass wir nicht vom ersten Tag an die Lösung parat hatten. Wir konzentrierten uns zunächst auf das Konzept, dass Ersatzteile nicht allein verwaltet werden sollten. Das erste Produkt, das wir entwickelt haben, war der Pool – diese Vernetzung mehrerer Unternehmen. Es zeigte sich aber, dass bei den Kunden die Datenqualität nicht ausreichte. Also haben wir unser Produkt entwickelt, das mit Daten von vielen Herstellern funktioniert, mit denen wir Vereinbarungen getroffen haben. Sie geben uns Daten, wir gleichen sie über unseren Algorithmus mit den Daten unserer Kunden ab und können so die Teile korrekt identifizieren. Wichtig war auch, die Zuverlässigkeit der Teile und wie sie kaputtgehen, mit in die Idee des Pooling zu integrieren.

Wir brauchen aber auch das Vertrauen unserer Kunden und das schaffen wir durch Transparenz. In unserer Anwendung sieht man jede Menge Kennzahlen, die wir für unsere Berechnung verwenden. Es handelt sich um einen Lernalgorithmus. Wenn unsere Kunden also sagen: 'Sie haben uns empfohlen, zwei Teile vorrätig zu haben. Ich denke aber drei', dann machen wir das. Wir integrieren es in unser Modell und fragen nach, warum dieser Kunde denkt, dass drei besser wären. So verbessern wir unser Modell."

Welche Fähigkeiten brauchen neue Kunden, um Ihr Produkt zu nutzen?

Veisberg: "Wir haben immer gesagt, ein guter Ausgangspunkt ist eine Ersatzteilliste. Aber wir haben Kunden, die nicht einmal das haben. Jeder befindet sich an einem anderen Punkt auf seinem Weg, und wir wollen jeden unterstützen können. Ich denke, die wichtigste Fähigkeit, die Kunden haben sollten, ist die Bereitschaft, es auszuprobieren. Man braucht nicht viele Fähigkeiten, aber die Offenheit, etwas Neues auszuprobieren, es gibt ein neues Konzept, es ist nicht der übliche Bestandsmanager, es ist ein innovativer Ansatz. Das ist das Wichtigste für uns."

Was ist Ihre Vision für Sparrow?

Veisberg: "Ich denke, dass Sparrow in der Zukunft idealerweise so etwas wie ein Ersatzteilmanagement-Service werden wird, mit dem Unternehmen den Verwaltungsaspekt des Ersatzteils in eine Anwendung verlagern können, auch wenn man in manchen Unternehmen immer noch einen Ersatzteilmanager vor Ort brauchen wird. Wir glauben, dass Sparrow in zwei Jahren Unternehmen intern und extern verbinden wird. Wir betrachten es als unsere langfristige Aufgabe, den weltweiten Bestand an Ersatzteilen zu reduzieren, denn es werden einfach zu viele davon produziert, verkauft und dann weggeworfen. Das sagt Ihnen jeder, sowohl die Käufer als auch die Verkäufer. Aber ich denke, wir können die Ersatzteile reduzieren – wir können besser werden."

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