Das Fundament einer prädiktiven Instandhaltung ist die digitale Überwachung von Betriebszuständen. Doch lässt sich das heute ohne existierende Standardsoftware in geeignetem Rahmen realisieren? "Ja, mit einer problemgetriebenen Vorgehensweise", sagen unsere Experten vom Fraunhofer ITWM.

Das Fundament einer prädiktiven Instandhaltung ist die digitale Überwachung von Betriebszuständen. Doch lässt sich das heute ohne existierende Standardsoftware in geeignetem Rahmen realisieren? "Ja, mit einer problemgetriebenen Vorgehensweise", sagen unsere Experten vom Fraunhofer ITWM.- (Bild: nordroden/stock.adobe.com)

Die digitale Zustandsüberwachung bietet uns in allen Bereichen des Maschinen- und Anlagenbaus (Wind- und Gasturbinen, Kühlaufleger von LKWs, Mobilkrane, Blockheizkraftwerke, Spritzgussanlagen, Axialkolbenpumpen, Kugelgewindetriebe ...) Möglichkeiten einer ständigen Überwachung des Ist-Zustands sowie einer verbesserten Planung für das, was kommt. Hersteller können ihr Portfolio mit effizienteren Betriebsmodellen zu Gewährleistung und Service erweitern. Betreiber minimieren Wartungskosten und Ausfallrisiken, vor allem für kritische Engpassmaschinen.

Doch wie realisieren Sie nun für Ihre konkrete Anlage oder Werkzeugmaschine ein solches System? Pressemitteilungen versprechen oft schlüsselfertige KI-Lösungen, die sich in der Projektierung meist als Plattform mit KI-Werkzeugkasten entpuppen. Das heißt: nach Schlüsselübergabe muss erstmal tüchtig implementiert werden

Überblick Condition Monitoring

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Fakt ist, die Vielzahl der zur Verfügung stehenden KI-Verfahren ist enorm. Maschinelle Lernverfahren beruhen auf datenbasierten Modellen. Nur variieren die Datensätze in deren Anzahl, Inhalt, Qualität und Dimension aus verschiedenen Maschinen derart stark, dass kein Algorithmus auf allen Daten gleich gut funktioniert.

Implementierten wir bisher modellbasierte Regelungssysteme auf Basis physikalischer Zusammenhänge, so können wir mit datenbasierten Ansätzen Systeme für derart komplexe Anlagen implementieren, zu denen wir die Physik bislang nicht ausreichend ausdrücken können oder wollen.

Das heißt aber nicht, dass dieser Ansatz die physikalische Komplexität beseitigt. Er verlagert sie nur, weg von Differenzialgleichungen, hin zu statistischen Verteilungen von Sensor- und Ereignisdaten. Die Hoffnung ist, dass wir in Zukunft über Technologien wie zum Beispiel auf tiefe künstliche neuronale Netze basierende "transfer-learning"-Verfahren verfügen, die aufgrund ihrer skalierenden Topologie beliebig komplexe Zusammenhänge erlernen können, und zwar ohne Terabytes an Daten zu Fehlersituationen zu benötigen. Doch Stand heute sind solche Verfahren aufgrund der fehlenden Datenbasis nicht einsetzbar. Daraus ergibt sich:

Das Problem, das heißt die Maschine beziehungsweise die Daten bestimmen die Lösung!

Dennoch können unserer Projekterfahrungen nach auch mittelständische Firmen Zustandsüberwachungen und Prognosen für ihre Maschinen und Bauteile realisieren und zwar innerhalb eines betriebswirtschaftlich rentablen Budgets. Geholfen hat uns am Fraunhofer ITWM hierbei folgende Vorgehensweise, die sich aus zahlreichen Projekten entwickelt und bewährt hat:

Beobachten, Prognostizieren und Regeln am Beispiel eines Blockheizkrafterks der Burkhardt GmbH.
Beobachten, Prognostizieren und Regeln am Beispiel eines Blockheizkrafterks der Burkhardt GmbH. - (Bild: Burkhardt GmbH)

Das Wichtigste zuerst: Die richtigen Experten zusammenbringen

  1. Wer kennt Maschinen besser als ihre Betreiber? Ihre Intuition und Erfahrung bringen einen uneinholbar großen Vorsprung.
  2. Wieviel kostet Stillstand? Welche neuen Geschäftsmodelle sind geplant? Produktionsleitung und Produktmanagement geben den betriebswirtschaftlichen Rahmen.
  3. Wer kennt Signalanalysen und KI-Algorithmen besser als Wissenschaftler? Ein projekterfahrener Data Scientist aus anwendungs- und forschungsnahen Instituten oder Ingenieurbüros reduziert das Risiko, sich mit ungeeigneten Verfahren zu verlaufen.

Als Nächstes gilt es in kleinen, konsequenten Schritten von der Zielsetzung, zur Maschine, über die erhobenen Daten, die Lösung zu entwickeln. Hierzu kombinieren wir Vorgehensweisen der Regelungstechnik mit einem zyklischen Vorgehensmodell aus dem Maschinellen Lernen.

Bestimmung der relevanten Betriebszustände

Der Dreh- und Angelpunkt ist die Maschine in Betriebszuständen, die im Verlauf von Produktion und Umrüstungen eingenommen werden und über eine Vielzahl von Betriebspunkten gesteuert werden. Die Betriebspunkte (zum Beispiel Rezepturen bei Spritzgussanlagen) einer Maschine haben einen signifikanten Einfluss auf die eingenommenen Betriebszustände, die Sie überwachen möchten.

Hinzu kommen Hysterese-, Dämpfungs-, und Kompensationseffekte durch zum Beispiel Regelungsmechanismen, die das Ursache-Wirkungsprinzip, welches es in Zustandsübergängen zu erkennen gilt, erheblich verzögern können. Wichtig ist, die Maschine mit ihren Freiheitsgraden, Prozessen und Parametern zu kennen, sodass Sie spätere Analyseergebnisse interpretieren können, ohne im Trüben zu fischen.

Über Messdaten das System beobachten

Zu den Betriebszuständen, die Sie überwachen möchten, werden Messdaten benötigt. Logbücher und Produktionspläne können Zustandsübergänge in Form von Ereignissen erklären. Sensoren messen physikalische Größen von Betriebspunkten (zum Beispiel Druck, Schwenkwinkel, Drehzahl und Temperatur bei Axialkolbenpumpen) und Betriebszuständen (zum Beispiel Körperschall am Gehäuse, Drehmoment an Antriebswellen). Den besten Wirkungsgrad einer Datenanalyse erzielen Sie, wenn Ereignisdaten sowie Sensordaten zu Betriebspunkten und -zuständen vorliegen.

Werden Messdaten von unterschiedlichen Sensoren gesammelt, ermöglicht das eine multivariate Analyse, mit der Sie unter Umständen auch komplexere Zusammenhänge nichtlinearer Natur identifizieren können. Je nach Dynamik innerhalb des Betriebszustands ist auf geeignete Abtastfrequenzen zu achten (Hochdynamische Verbrennungsprozesse oder Lagerschwingungen können im Kilohertz-Bereich abgetastet werden, bei trägeren Hydraulikantrieben reichen bereits Frequenzbänder in Hertz-Bereichen).

Da Sensoren einen nicht unwesentlichen Kostenfaktor darstellen, empfehlen wir hier, klein anzufangen. Oft reichen die bestehenden Bordmittel der Steuerungs- und Regelungstechnik aus. Ansonsten können eventuell günstige Körperschallsensoren oder Dehnungsmessstreifen ausreichen. Ein wichtiger Indikator in der Bewertung der Güte von erhobenen Sensordaten ist das Überprüfen des Rausch- bzw. Informationsgehaltes, kodiert in der Varianz und Entropie der Signalverläufe.

Um Analysen unabhängig vom sensoreigenen Rauschverhalten und weiteren externen Störfaktoren zu ermöglichen, sollten Sie darauf achten, mehrere Datensätze zu den zu überwachenden Betriebszuständen zu erheben.

Die drei Eigenschaften guter Merkmale

Zu den überwachenden Systemzuständen gilt es, aus den Messdaten Merkmale zu konstruieren, die von Betreibern oder einer Software überwacht werden können. Hierbei zeichnen sich gute Merkmale durch folgende Eigenschaften aus:

  1. Es repräsentiert einen dedizierten Betriebszustand, um klare Steuerungsmöglichkeiten z.B. über einstellbare Betriebspunkte zu ermöglichen.
  2. Es verhält sich stabil innerhalb eines Betriebszustands. Abweichungen stellen Anomalien dar, deren Ursache auf Fehlkonfigurationen oder Verschleiß hinweisen. Ein degradierender Trend des Merkmals entlang der Betriebszeit bildet die Grundlage einer prädiktiven Instandhaltungsstrategie.
  3. Es approximiert einen interpretierbaren physikalischen Zusammenhang. Das erleichtert den intuitiven Umgang und das Ableiten von Handlungsanweisungen.

Von Signalen zum Merkmal: eine Bauanleitung

Merkmale können unterschiedlich aus Signalen konstruiert werden. Baut man ein univariates Merkmal (zum Beispiel Filterdruck) aus einem einzigen Sensorkanal, können Verfahren aus der Familie der digitalen Signalverarbeitung und Zeitreihenanalyse verwendet werden.

 

Konstruktion von Merkmalen aus den Signalverläufen. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern.
Konstruktion von Merkmalen aus den Signalverläufen. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern. - (Bild: ITWM)

Multivariate Merkmale werden aus mehreren Datenreihen (zum Beispiel Temperaturfelder, Gasgemische) konstruiert, deren Verläufe Abhängigkeitsmuster aufweisen. Hier können zusätzlich zu univariaten Verfahren multidimensionale und auf Kovarianzen basierte Verfahren angewendet werden, um die Interaktionsmuster zwischen den Kanälen zu quantifizieren. Dies erlaubt die Konstruktion von komplexeren Merkmalen, um zum Beispiel die Qualität von Gasmischverhältnissen oder 2D/3D-Darstellungen über Temperatur- oder Strömungsfeldern darzustellen.

Signalverläufe mit periodischen Bestandteilen (zum Beispiel Drehmomente bei rotierenden Antrieben oder Körperschall von Kugellagern) können als Merkmal im Frequenzbereich dargestellt werden. Regen einzelne Betriebspunkte bestimmte Frequenzen im System an, lassen sich diese Merkmale zum Beispiel über Fourier-Transformationen darstellen.

Konstruktion von Merkmalen aus Modellparametern. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern.
Konstruktion von Merkmalen aus Modellparametern. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern. - (Bild: ITWM)

Aus Gründen der Sicherheit, des verfügbaren Platzes oder auch aufgrund von Kosten können physikalisch wesentliche Systemzustände häufig sensorisch nicht direkt erfasst werden. Sie stellen somit verborgene Zustände dar. Insbesondere in der Interaktion mehrerer mechanischer Komponenten (zum Beispiel Lager, Getriebe, Motoren) lassen sich die einzelnen Komponenten (hier: Wälzkörper, Zahnräder, Kolben/Zylinder) schlecht separat überwachen. Hierbei helfen parametrisierte Modelle bei der Konstruktion von Merkmalen.

Trainieren Sie diese Modelle wiederholt auf Daten stationärer Betriebszustände, können Sie davon ausgehen, dass bei den Wiederholungen diese Modellparameter ebenfalls stationär bleiben. Je nach Modell können Sie nun diese Parameter als Merkmale für die verborgenen Betriebszustände verwenden. Der Vorteil dieser Herangehensweise ist, dass Modelle rein datenbasiert trainiert werden können (Black-Box) oder Sie existierende, aber unvollständige physikalische Modelle mit datenbasierten Verfahren (Gray-Box) ergänzen.

Weiterführende Verfahren

Sind Sie im Projekt erstmal bei gut konstruierten Merkmalen angekommen, haben Sie prinzipiell die wichtigste Hürde genommen. Auf dieser Basis lassen sich weiterführende Verfahren anwenden.

  • Fehlerdiagnose durch Klassifikation wiederkehrender Anomalien in Merkmalen
  • Prädiktive Instandhaltung durch Trendanalyse degradierender Merkmalsverläufe
  • Prozessoptimierung durch Sensitivitätsanalyse der Merkmale auf einstellbare Betriebspunkte
  • Verbessertes Regelungskonzept auf Basis von Merkmalen und Betriebspunkten

Letztendlich dürfen Sie Ihre konstruierten Merkmale als digitalen Zwilling betrachten, auf dessen Basis neue Geschäftsmodelle zu vertriebenen beziehungsweise betriebenen Maschinen realisiert werden können.

 

Ein digitaler Zwilling in der virtuellen Welt: Merkmale als Bestandteile von Maschinenmodellen.
Ein digitaler Zwilling in der virtuellen Welt: Merkmale als Bestandteile von Maschinenmodellen. - Grafik: Fraunhofer ITWM

Der Vorteil der beschriebenen Herangehensweise ist, dass Schritt für Schritt jede noch so individuelle und individuell betriebene Anlage durch Merkmale überwacht werden kann. Die Herausforderung ist die Identifikation der richtigen Konstruktionsanleitung zur Erstellung der Merkmale. Hier sind neben Signalverarbeitung, Statistik und datenbasierter Modellierung (Data Science) vor allem Hintergrundwissen zum Betrieb und Physik der Anlage notwendig, um zügig zum Ziel zu kommen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist wie so oft der Schlüssel zum Erfolg.

Wir begleiten Sie gerne auf diesem Weg.

Fraunhofer ITWM

Interessiert? Dann wenden Sie sich an 

Dr. Benjamin Adrian
Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM
E-Mail: benjamin.adrian@itwm.fraunhofer.de
Telefon: +49 631 31600-4943

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